: Im Reich der Zeichen
Tokio am schwarzen Brett: Die Dahlemer Ausgabe der Tageszeitung „Asahi Shimbun“ – ein Blick aufs publizistische Alltagsgeschäft in Japan ■ Von Daniel Bax
Japan rückt näher. Sushi-Bars, Nippon-Trash und Manga-Comics vermehren sich schneller, als man Godzilla sagen kann, derweil sich auf T-Shirts und Plattencovern kryptische Zeichen breitmachen. Doch wer kann schon die japanischen Schriftzeichen, Kanji genannt, lesen?
Selbst für Kanji-Kenner ist das Lesen der Zeichensprache ein mühsames Unterfangen: „Wenn man im dritten oder fünften Semester ist, braucht man eine Stunde, allein um die Zeitung zu überfliegen“, weiß der Japanologiestudent Jascha Kreppner aus leidvoller Erfahrung. Eine intensive Lektüre kann da Tage dauern.
Den Japanischdozenten Detlef Foljanty brachte das auf eine Idee: Die von seinen Studenten am Ostasiatischen Seminar der Freien Universität im obligatorischen Zeitungslektürekurs übersetzten Artikel aus der japanischen Tageszeitung Asahi Shimbun ließ er am schwarzen Brett des Instituts befestigen, um auch Nichteingeweihte an den Texten teilhaben zu lassen. Fortan bildeten sich jede Woche große Trauben vor der Wandzeitung, und so begann Detlef Foljanty, die Übersetzungen als geheftete DIN-A 4-Kopien zum Selbstkostenpreis zu verkaufen – zunächst nur an die Institutsöffentlichkeit. Das war vor fünf Jahren.
Heute hat die im 14tägigen Turnus erscheinende Asahi Shimbun – Dahlemer Ausgabe etwa 260 Abonnenten und richtet sich an „alle Menschen, die sich mit Japan beschäftigen“. Die meisten Abnehmer sind Japanologiestudenten an Universitäten im deutschsprachigen Raum, doch es gibt auch Leser im europäischen Ausland und sogar in Japan – vorwiegend Journalisten sollen das sein.
Für nur drei Mark bekommt der Leser auf rund 24 Seiten einen Extrakt aus Meldungen, Reportagen und Kommentaren zu den wichtigsten Themen der vergangenen Asahi-Ausgaben. Eigene Artikel werden grundsätzlich nicht geschrieben, die Dahlemer Asahi versteht sich als eine „Zusammenfassung“ des japanischen Originals.
Zentral ist „der japanische Blick“, behandelt werden Themen und Aspekte, die in deutschen Medien gewöhnlich nicht zu finden sind. Viel Raum nehmen etwa Berichte aus Wissenschaft und Forschung ein, und einzelne Hefte widmen sich schon mal Schwerpunkten wie „Frauen und Arbeit“, „Karoshi“, der Tod durch Überarbeitung, oder „Internet“ – „das ist jetzt das heiße Thema“, meint Foljanty.
Als Quelle ist die Asahi Shimbun, eine große, liberale Tageszeitung mit einer Auflage von acht Millionen (!), eine dankbare Vorlage. Das Mutterunternehmen in Tokio überläßt den Herausgebern der Dahlemer Ausgabe das Abo der Auslandsausgabe kostenlos – da die „Satellitenausgabe“ der Asahi rund sieben Mark kostet, eine nicht ganz unwesentliche Unterstützung. Die „Satellitenausgabe“ heißt so, weil sie über Satellit nach Amsterdam gefunkt und dort gedruckt wird, bevor sie nach Frankfurt eingeflogen und in Deutschland vertrieben wird.
Die Auswahl der Texte für die Dahlemer Asahi geschieht nicht willkürlich: Die Tutoren suchen aus dem japanischen Original aus, was ihnen interessant erscheint, kopieren es und legen es dann für ihre Kommilitonen aus. Diese nehmen sich davon, was ihnen zusagt, frei gebliebene Seiten füllt Übersetzungsprofi Foljanty nachträglich systematisch auf.
Pro Semester sind bis zu zwanzig Studenten beteiligt: vier feste Mitarbeiter, die für die Organisation, die Kopien, den Vertrieb und die Buchhaltung zuständig sind und die auch eine Aufwandsentschädigung erhalten, während die wechselnden Teilnehmer des Lektürekurses für den Inhalt sorgen. „Wir betrachten das Ganze als Ausbildungsprojekt“, sagt Foljanty, „bei dem auf vernünftige Weise Sprachkenntnisse eingeübt werden.“
Finanziert wird das Unternehmen, seit die Förderung als Projekttutorium seitens der Hochschule auslief, allein durch die Verkaufserlöse und durch Spenden, die Gesellschaft für Japanforschung und ein privater Gönner sichern das Überleben zumindest bis zum Ende des Jahres. Das hindert die Macher nicht an ihren Zukunftsplänen: Regelmäßige Seiten im Internet existieren bereits, als nächstes steht eine CD-ROM mit allen bereits erschienenen Ausgaben auf dem Programm, und im Sommer soll die geballte Expertise verstärkt in journalistische Arbeit fließen. Denn, sagt Foljanty, „ich möchte meinen Studenten zu fachnahen Jobs verhelfen“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen