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Schnitzel nach China

■ Camel-Trophy-reife Odyssee: "Kitchen" von Yim Ho im Wettbewerb

Schon einmal genau beobachtet, wie der Regen fällt? Die Tropfen, das schwappende Wasser, die Tumulte, die tausend Schattierungen von Blau? „Kitchen“ beginnt mit einer solchen Studie, aus der dann eine Nase auftaucht, riesig wie ein Gebirge. Denn Aggie kann gut riechen. Sie kann riechen, wann man das letzte Mal Sex hatte und ob Regen kommt.

Weil ihre Großmutter gestorben ist, spricht Aggie nicht mehr und verkriecht sich aus Trauer in einen Kühlschrank. Zwar holt Louie sie aus dieser Apathie wieder heraus und quartiert das Mädchen bei sich zu Hause ein, wo er mit seiner Mutter zusammenlebt, die Besitzerin einer plüschigen Bar ist und einmal sein Vater war. Doch Aggie will nicht im eigenen Zimmer schlafen, sie nächtigt lieber auf der Couch in der Küche.

„Kitchen“ ist bereits die zweite Verfilmung des vor zehn Jahren von Banana Yoshimoto geschriebenen Bestsellers, der für Japan ungefähr das ist, was Douglas Couplands „Generation X“ im Westen darstellt. Die erste Version floppte. Diesmal hat sich der Hongkong-Chinese Yim Ho, der im letzten Jahr für seinen Film „Die Sonne kann hören“ den Silbernen Bären gewann, des Stoffes angenommen.

Yim hat die Handlung nach Hongkong verlegt, den Film aber trotzdem in Japan gedreht. Außerdem hat er die Sicht des Films geändert: Das Buch, an sich eine „simple Love Story, aber mit vielen verschiedenen, auch philosophischen Ebenen“, wie der Regisseur meinte, wird von Aggie erzählt. Nachdem zwei Drehbuchfassungen scheiterten, wählte Yim für die dritte und schließlich endgültige die Perspektive von Louie. Für die Rolle von Aggie, im Film Chinesin, hat er sich dann aber wieder eine japanische Schauspielerin geholt. Und auch sonst hat er sich alle Freiheiten genommen: „Kitchen“ wechselt so hurtig, wie das wohl nur in Hongkong erlaubt ist, von existentialistischem Gefasel zu buntem Klamauk, von sentimentalen Liebesszenen zu Menschen, die an sich selbst mit dem Messer herumfummeln.

Yim Ho schert sich nicht um die Stile, aber sein Gespür für Stimmungen scheint untrüglich. Da kann Aggie ganz japanisch trostlos durch regennasse Fensterscheiben blicken – im nächsten Moment taucht Louies Freundin Jenny auf, und wir sind mitten in einem knalligen Box-Office-Hit aus Hongkong, wo die Shorts möglichst knapp sind und die Musik so schmissig wie möglich ist. Sogar altbackene Ohrfeigen sehen dann aus wie von Kung-Fu-Spezialisten inszeniert.

Aggie kann riechen, ob es regnen wird. Louie ist Friseur. Man ergänzt sich, die Liebe ist unausweichlich, aber es braucht noch einige Verwicklungen, bevor sie zum Ziel kommt. Es passieren einige sehr traurige Dinge und noch mehr absurde. Schließlich macht sich Aggie mit einer Portion italienischem Schweineschnitzel auf den Weg nach China, wo sich nun seinerseits Louie in einer Einöde verkrochen hat. Nach einer Camel- Trophy-reifen Odyssee kommt sie an, das Schnitzel ist inzwischen aber wohl zu kalt.

Überhaupt Essen: Jahre sind vergangen, doch als sie sich treffen, ist ihre erste Frage: „Bist du hungrig?“ Und er ist hungrig. Und sie haben sich gefunden. Thomas Winkler

„Wo Ai Chufang – Kitchen“. Hongkong 1996, 110 Min. Regie: Yim Ho. Mit Jordan Chan, Yasuko Tomita u.a.

Heute: 9.30 Uhr Royal-Palast; 21 Uhr Urania

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