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Wand und BodenDie Grottenolme der Rekonstruktion

■ Kunst in Berlin jetzt: Adolf Frohner, Andrea Sunder-Plassmann, Evelyn Richter, Unter den Linden

Der Ausstellungstitel „Wiener Madln“ macht neugierig. Schlicht, weil man denkt, wer sich mit diesem Klischee zu hantieren traut, dem muß einfach etwas eingefallen sein. Aber nein. Schon die Titel der Leinwände in der Raab Galerie lassen erahnen, wie konventionell Adolf Frohner, Präsident der Hochschule der angewandten Kunst in Wien, die Sache abgehandelt. Da gibt es „Die Bajaderen“, „Die Bacchantinnen“, „Die Brautjungfern“, und unvermeidlich „Wiener Blut“. Frohner malt auf fotografischen Bildhintergründen, denen bis ins Raster vergrößerte Postkarten zugrunde liegen. Bei dem einen oder anderen Werk, wie etwa „Jede für sich“ (1991), kommt noch ein bißchen Bastelarbeit dazu, denn (fast) jedem Porträt auf der Leinwand wurde ein eigener kleiner Rahmen vorgeblendet. Ansonsten collagiert Frohner – einst zu den Wiener Aktionisten gerechnet – die Pin-ups der Jahrhundertwende mit einer kräftigen bis groben Malerei in Rot, Schwarz und ein wenig Weiß. Das soll auf La Belle et la Bête hinauslaufen, auf Frauenschönheit, mit der eine wölfische Malerei kollidiert. Das ist nun wirklich ein alter Hut.

Bis 1. 3., Mo.–Fr. 10–19, Sa. 10–16 Uhr, Potsdamer Straße 58

Warum also lassen die Künstler die Frauen nicht einfach in Ruhe, wo ihnen doch eh nichts Neues zu diesem Thema einfällt? Andrea Sunder-Plassmann, die Künstlerin, hat sich in ihren Fotoarbeiten und Projektionen bei Art 5 Galerie Inge Herbert den Insekten genähert.

„Äther (Himmelsluft)“ ist vor allem ein Farbspiel. Die zwölf mittel- bis großformatigen Farbfotografien schillern von blaugrün über orangegrün bis rot. Also gerade so, wie es die Insekten manchmal tun. Bei Sunder-Plassmann stammt die Farbigkeit allerdings vom Hintergrund vor dem sich die durchsichtigen Flöhe, die schwarz-grünen Fliegen oder die braungefleckten Schmetterlinge bewegen.

Obwohl Andrea Sunder-Plassmann nach ihrem Kunststudium an der HdK Berlin eher mit großen raumbezogenen Installationen arbeitete, hat sie sich jetzt auf die Größenverhältnisse des von ihr beobachteten Mikrokosmos eingelassen. Sechs, auf dünne, schwankende Stangen montierte Diaprojektoren werfen das Bild eines Marienkäfers, einer winzigen Schnecke oder einer Fliege auf ein kleines Stück weißes Papier, das mit einer Präpariernadel an die Wand gespießt wurde. Durch die Vibration des Herantreten wirft das Licht Kreise, scheinen die Insekten ins Wasser gefallen, und die Klanginstallation „Chiton“ von Ole Jarchov deutlich hörbarer zu sein. Die „Äther“-Projektion provoziert tatsächlich eine Synästhesie, denn die Straßenatmo, die synthesizerisierten Grillen und Zikaden sind schon die ganze Zeit über da.

Bis 20. 3., Di.–Fr. 15–19, Sa. 11–15 Uhr, Motzstr. 9

Evelyn Richters „Begegnungen“ in der Fotogalerie des Deutschen Historischen Museums wirken dagegen wie schwarzweiße Dokumentarfotoklassiker. Evelyn Richter, Jahrgang 1930, war zu DDR-Zeiten für ihre Porträtfotografie berühmt. Von ihr sind auch Fotografien mit durchaus sarkastischem Humor bekannt, die in Sibylle erscheinen konnten. Die jetzt gezeigten Bilder umfassen eine Zeitspanne von 1964, wo sie Otto Dix mit dünnem Mund, aber aufmerksamem Gesicht zeigt, bis zur Montagsdemonstration in Leipzig 1989. Günther Kunert sieht 1966 in Weimar sehr jung, aber irgendwie unfroh aus, während im gleichen Jahr in Leipzig die Haltung des Musikdandys Hans Werner Henze genau das ausdrückt, was man cool nennt. Evelyn Richter trifft ihre Protagonisten und ihre Situationen mit geradezu unwahrscheinlicher Präzision.

Am schönsten ist das Nebeneinander von Lilja Brik, Majakowskis großer Liebe, 1987 in ihrer Moskauer Wohnung fotografiert, und Dolores Ibárruri, ebenfalls in Moskau aufgenommen. Lilja Brik ist ein altes Mädchen, das sich wieder so ungeschickt schminkt wie bei den ersten Versuchen, während La Passionata eine schöne alte Dame, und man muß es so sagen, voller Grandezza ist.

Bis 18. 3., Do.–Di. 10–18 Uhr, Unter den Linden 2

Die Adresse des Historischen Museums ist der Titel einer Ausstellung der Nationalgalerie und des Stadtmuseums im Kunstforum der Grundkredit Bank Berlin. Da vor 350 Jahren die Anordnung zum Bau der berühmten Unter den Linden erfolgte, wird der Jubilar-Boulevard nun in Ansichten von Schinkel, Gaertner und Menzel gefeiert. In Zeiten, in denen die Herren Stimmann und Co. weiterhin unbeirrt an der Disneyfication Berlins arbeiten, ist diese Ausstellung ein Muß. Denn der Masterplan erfährt in den Schinkelschen Kupferstichen, Aquarellen, Feder- und Bleistiftzeichnungen keine „Celebration“, wie die kritische Rekonstruktion in ihrer Version in Florida heißt. Man liest es nicht nur in dem von Birgit Verwiebe herausgegebenen, hervorragenden Katalog, sondern man sieht es auf den Blättern, daß Schinkel gegen jede Uniformität der Bauten, gegen gleichförmige Straßenfronten und gegen die lokale Bautradition ist. So hätte sich nach seinem Wunsch ein riesiges, dreiflügliges Kaufhaus mit einem breiten, tiefen Hof zu den Linden geöffnet.

Ähnliches gilt für Eduard Gaertner, der als liebevoller, fleißiger und anmutiger Maler des Berliner Biedermeier unterschätzt wird. Sein lebensnaher Realismus deutet schon auf Menzel hin.

Die Gasbeleuchtung der Linden, die erste Plakatsäule, Omnibusse, Eisenbahnen, Bahnhöfe, Fabriken und die Revolution von 1848 sind ebenso sein Sujet wie das berühmte Panorama Berlins, das er von der Friedrichswerderschen Kirche herab im Jahr 1834 „aufnahm“, wie er selbst im Bild vermerkte. Tatsächlich neigt man leicht dazu, seine Ölgemälde als grandiose Farbfotografien zu sehen. Und so bringt man die von der Nationalgalerie neu erworbene „Ansicht der Rückfront der Häuser an der Schloßfreiheit“ (1855) mit ihrem hochsommerlichen Flair ohne weiteres mit dem heutigen Berlin zur Deckung. Die bleibenden Qualitäten Berlins liegen in anderen Dingen, als die Grottenolme der Rekonstruktion vermuten.

Bis 27. 4., tägl. 10–20 Uhr, Budapester Str. 35

Brigitte Werneburg

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