: Thatcher, die Mutter aller Spice Girls Von Ralf Sotscheck
Engländer hängen an ihren Jobs. Besonders, wenn es sich dabei um die hochdotierte Stelle eines Premierministers handelt. Wer geglaubt hat, John Majors Tage seien gezählt, täuscht sich womöglich: Er hat unerwartete Schützenhilfe bekommen – von den Spice Girls, jenen fünf Mädels zwischen 17 und 24, deren Single „Wannabe“ voriges Jahr in 27 Ländern an der Spitze der Charts stand. Zwar halten sie den farblosen Premier für einen „langweiligen Schnarchsack, aber im Vergleich mit dem Rest liegt er weit vorne“. Schließlich ist er der Nachfolger ihrer Vorfahrin: „Wir Spice Girls sind echte Thatcher-Fans“, tönten die Gewürzfrolleins. „Thatcher war das erste Spice Girl, sie war die Pionierin unserer Ideologie: Girl Power.“
Ob sich der eiserne Kotzbrocken auch als Königin der Würzmittel sieht, verrät sie nicht. Eine andere Queen, die Königin des Punk, hält die Spice Girls jedoch für „Tiere ohne jeden Stil“. Modedesignerin Vivienne Westwood, die Johnny Rotten, Adam Ant und die Sex Pistols eingekleidet hat, machte 1992 Schlagzeilen, als sie vor dem Buckingham-Palast anschaulich unter Beweis stellte, daß sie keinen Schlüpfer getragen hatte, als ihr die echte Queen einen Orden an die Bluse heftete. Sie wirft den Spice Girls vor, „widerliches Betragen als Lebensstil“ zu vermarkten. „Ich rege mich furchtbar darüber auf“, sagte sie.
Den Girls und ihren Managern ist das schnuppe. „Wir haben es nicht nötig, uns in einen Streit mit einer dummen alten Frau über die größten Musiktalente der Welt ziehen zu lassen“, ließ die Plattenfirma Virgin wissen. Und die Spice Girls gaben ungefragt ein paar politische Weisheiten zum besten: „In der guten alten Zeit konnte ein Bergarbeiter mit Idealen in die Politik gehen, aber heutzutage sind das meistens Marketingstrategen.“ Offensichtlich hat den Mädchen niemand gesagt, daß es heute keine Bergarbeiter mehr gibt, weil das Thatcher-Girl und ihr Nachfolger ganze Arbeit bei der Stillegung der Zechen geleistet haben. Das können die Spice Girls nicht wissen, weil sie noch so klein sind.
Aber sie können schon schwere Worte ohne Stocken aussprechen: „Die Vorstellung eines europäischen Föderalismus ist lächerlich“, findet Victoria, die als vornehm gilt, weil sie mal auf der Ballettschule war. „Wir wollen den Kopf der Königin. Auf unseren Münzen.“ Kollegin Geri möchte in die Politik: „Wenn die Leute mich wollen, könnte ich nicht nein sagen. Ich wäre dann wie Glenda Jackson – nur besser natürlich.“
Von Glenda Jacksons Parteichef Tony Blair halten die fünf Girls wenig: „Der Mann hat ja noch nie gearbeitet.“ Und im vergangenen Jahr hat er leichtfertig eine Chance vertan, als er es ablehnte, in einem Spice-Girls-Videoclip aufzutreten. Aber wenigstens er habe einen netten Haarschnitt und sei unglaublich charmant. Für den Job als Premierminister reicht das freilich nicht: „Er hat keine Ahnung von Wirtschaftspolitik“, glauben sie. „Wir könnten niemals Labour wählen.“ Blair reagierte trotzig: Nur weil die Spice Girls Lady Thatcher mögen, wird Tony Blair nicht aufhören, die Musik der Spice Girls zu mögen, verkündete sein Pressesprecher. Warum auch? Die tiefe Bewunderung für die ondulierte Neuadlige hat er mit den Girls ja gemein. Vielleicht könnte er mit ihrem Erben John Major im Duo auftreten – als Spice Boys.
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