: Diskussion hat bereits begonnen
■ betr.: „Beigelegt, aber nicht erle digt“, „Kläglich gescheitert“, taz vom 10. 2. 97
Mit Erstaunen habe ich im Rahmen der Berichterstattung zur Landesdelegiertenkonferenz der Grünen am 8. Februar die taz-Darstellung der Auseinandersetzung um den Vorwurf der sexuellen Belästigung gegen Matthias Dittmer verfolgt. Während man innerhalb der Partei zu einer gütlichen Einigung kam, bei der die Frauen ihren Vorwurf zurückgezogen haben, vermittelt die taz-Korrespondentin Dorothee Winden eine Darstellung, die die Glaubwürdigkeit der Frauen, aber auch der Grünen insgesamt bedroht.
[...] Statt einer solchen Berichterstattung, die sich zum bloßen Sprachrohr der einen Seite dieses Konfliktes degradiert, hätte man gerade von der taz im Sinne einer umfassenden sachlichen Darstellung erwarten dürfen, auch etwas über die Position des Beschuldigten und über seine Interpretation der Ereignisse zu erfahren. Schließlich hat Dittmer den Vorwurf entschieden zurückgewiesen und sich auch per Gericht gegen ihn zur Wehr gesetzt, um seine politische Karriere zu schützen. Es kann nicht angehen, in diesem Verhalten allein einen Beweis für seine Dreistigkeit zu sehen.
Für Winden kommt Dittmer jedoch nur als Täter in Betracht. Sie behauptet, wer „jetzt einseitig zugunsten von Dittmer die Unschuldsvermutung anwendet“, ziehe die Position der Frauen überhaupt und ganz allgemein in Zweifel, denen einfach „nicht geglaubt wird“. Damit fordert sie letztlich, daß eine Situation, die von den beiden einzigen Beteiligten völlig unterschiedlich dargestellt und wohl auch wahrgenommen wird, nur deshalb, weil andere Zeugen fehlen, immer entsprechend der Darstellung der Frau interpretiert werden müsse.
Statt solcher einseitiger Kampagnen wäre es auch für die taz an der Zeit, sich mit grundsätzlicheren Fragen zu befassen. Denn es ist immer noch unklar, wie mit solchen Konflikten umzugehen ist, ein sexueller Übergriff wirksam und angemessen sanktioniert, der Mißbrauch solcher Vorwürfe jedoch vermieden werden kann. Bei den Grünen, das hat die Landesdelegiertenkonferenz immerhin gezeigt, hat die Diskussion dieser Fragen bereits begonnen. Sabine Sanio
Du konstatierst sehr zutreffend, daß grüne Frauen, die sich für Klärung und Sanktionierung der Fälle von sexueller Belästigung eingesetzt haben, kläglich gescheitert sind. Aber das ist wohl die Bedingung dafür, daß Du in der taz so knallhart und klar darüber schreiben kannst, daß Du Ausweichverhalten und Ignoranz, formales Abwehrdenken statt Moral, Emotion und Politik erkennst.
Für mich jedenfalls ist deine jetzige Berichterstattung ein Trostpflaster, weil so unser Anliegen doch noch einen Weg in eine uns wichtige Öffentlichkeit gefunden hat. Hoffentlich ist sie für die, die das jetzt restlos abservieren wollen – übrigens auch die Umfrage und die Hotline – wenigstens ein Wermutstropfen! Dagmar Riedel-Breidenstein
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