: Eine Ente der Sicherheitsorgane
■ betr.: „Lebensräume statt linke Spielwiese“, taz vom 7. 2. 97
Ganz Berlin reitet. Nämlich auf der Kriminalität herum. Die steigt und steigt angeblich, entweder auf den 1.000 Baustellen, wo noch mehr 1.000 Ausländer schwarzarbeiten, oder in Friedrichshain, wo linke, autonome, gewaltbereite, kriminelle, jugendliche Hausbesetzer den „Lebensraum“ des verängstigten Bürgers in Beschlag nehmen. Doch das berittene Pferd ist bloß eine Ente der Sicherheitsorgane. Einmal wirkungsvoll erzeugt, wie im Vorfeld des Verbrechensbekämpfungsgesetzes 1994, ist die Angst vor der Chimäre „Organisierte Kriminalität“ der Generalschlüssel für Behörden und Politiker, aber auch noch jeden Überwachungs- und Bestrafungsunsinn nicht nur in die dankbaren Medien, sondern auch durch die Parlamente zu kriegen. Auch dank ihrer alternativen Hiwis in den Kiezen, die sich – Ruhe ist die erste Bürgerpflicht – über den Lärm und den Dreck einer Großstadt grämen und Sprüher oder Kneipen vertreiben wollen.
Der jüngste Vorstoß von Links- Rechts ist der vom F'hainer Bümei Helios Mendiburu, nach dem Modell der Runden Tische alle willigen oder von Amts wegen damit betrauten Menschen an denselben zu versammeln, die Ängste aufzusammeln und „Präventionsstrategien“ zu entwickeln. Wie genau das vor sich gehen soll, wird nicht weiter ausgeführt. Und von der taz nicht weiter hinterfragt. Erster Schritt ist ohnehin die „Analyse“, in welchen der von Mendiburu eingeteilten „Quartiere“ wer wie warum kriminell wird. Aha, eine neue Datenerfassung also, diesmal im Gewande der Sozialpädagogik.
Daß die Kriminalität steigt, wird von allen mittlerweile widerspruchslos hingenommen. Daß sie eigentlich jedoch nicht steigt, wird zumindest auf kritische Nachfrage hin auch von allen eingeräumt. Daß „Gewalt“ und (Organisierte) „Kriminalität“ Kampfbegriffe der konservativ autoritären Sicherheitsbürokraten und ihrer politischen Lakaien sind, um den liberalen Rechtsstaat auszuhöhlen, ist auch Fakt. Daß Kriminalprävention eo ipso hirnrissig ist, ist bei entsprechender Denkleistung auch jedem klar: Erstens gibt es Freiheit von Kriminalität oder gar ein Recht auf Sicherheit – zumal in einer Großstadt – nicht. Und dennoch ist das Risiko, Opfer von Kriminalität zu werden, immer noch niedriger, als das Risiko zu sterben – das nämlich liegt bei zirka 100 Prozent.
Trotzdem hat jeder Angst vor der Rumänenbande, die die ganze Familie massakriert und den heimischen Tresor leerräumt. Zweitens bedeutet Prävention, also Vorbeugung, mehr Kontrolle. Der Zugriff des Staates wird auf Basisbereiche und Privaträume ausgedehnt, alle sind verdächtig, nur eines zu tun: Gesetze zu übertreten, also kriminell zu werden. Das ist im Kern totalitäres Denken und ruft nach dem guten alten Blockwart. Übrigens: daß in einem solch hysterisch-moralinsauren Klima Bagatelldelikte nach nun 20 Jahren rationaler Diskussion immer noch nicht aus dem Strafkatalog verschwunden sind, wundert uns zumindest nicht mehr.
Statt locker-flockig-alternativer Headlines mal wieder einen alternativen taz-Artikel zum Thema „Innere Sicherheit“ in Berlin – das wünschen sich von Herzen Anke Zeuner und
Tobias Jaecker, KV F'hain der
JungdemokratInnen/Junge
Linke Berlin
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