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Transitstation Bremen

■ n Ex-„freiraum“-Chef Müller-Othzen nimmt Abschied von der Hansestadt

Bremen hat sich für Jürgen Müller-Othzen eigentlich „schon immer wie ein Durchgangsbahnhof“angefühlt. Ein Durchgangsbahnhof, von dem er sich seit zwei Jahren zunehmend entfernt – und dem er bald endgültig den Rücken kehren will. „In Bremen ist der Zug längst abgefahren“, sagt der einstige Gründer und Leiter des inzwischen komplett abgewickelten freiraum theaters. „Die Resignation in der freien Szene ist geradezu perfekt“, meint Müller-Othzen. „Ich kann jeden verstehen, der hier weggehen will,“sagt er und meint damit auch sich selbst. Zum Abschied bringt er am Sonntag ein letztes Mal seine Tanz-Performance „ankommen“im Schlachthof auf die Bühne.

Das sind deutliche Worte – von einem Mann, der einst Großes im Sinn hatte. Ein riesiges freies Theaterlabor hatte er aus dem freiraum theater entwickeln wollen: Mit viel Zuschauerplätzen für große Gastspiele, internationalen Gästen, Studenten, Schauspielern und Theater-Künstlern. Stuttgart, Hamburg oder gar Oldenburg hätten Vergleichbares auf die Beine gebracht: „Es ist schon tragisch, daß Bremen so etwas nicht schafft.“Zehn Jahre hatte er als freiraum theater-Leiter mit der Kulturbehörde um solch ein Konzept gerungen. Im Februar 1994 war dann endgültig Schluß: Müller-Othzen meldete für das freiraum theater Konkurs an.

Vor zwei Monaten hat Müller-Othzen nun die schmerzhafte „Abwicklungsarbeit“hinter sich gebracht. „Da war, obwohl ich es nicht erwartet hatte, auch schon so etwas wie Trauer dabei“, sagt er. Trauer über die Menschen in Bremen, für die Müller-Othzen vor sechs Jahren noch deutliche Worte fand. „Schlafmützen“hat er sie genannt. „Da wollte ich provozieren und etwas bewegen. Heute würde ich so etwas nicht mehr sagen“, meint er. Heute nämlich ist Müller-Othzen froh, daß er seit zwei Jahren nichts mehr mit der Kulturbehörde zu tun hat. „Das macht richtig Spaß“, sagt er und lacht. Auch über die Kulturpolitik im Land will er „lieber gar nichts mehr sagen, weil es nämlich völlig sinnlos ist“. Den Blick über den Tellerrand hätte er in Bremen schmerzlich vermißt.

Ihn selbst habe es ständig in andere Länder und Städte gezogen. Ihn, den Regisseur, Schauspieler und Theaterpädagogen, der in Zürich aufgewachsen ist. freiraum, das war seine Spielstätte für Avantgarde-Theater, für neues Tanztheater und Geburtstätte seines 1991 entwickelten Konzeptes vom „theater der inneren Schwerkraft.“Für den 47jährigen ist das eine „tieferliegende Körpersprache, die aus elementaren Gesten von Glück und Schmerz“besteht.

Seine letzte, jetzt im Schlachthof zu sehende Performance „ankommen“ist in einer Zeit entstanden, „als ich gerade in Bremen begonnen habe, etwas zu beenden“, sagt Müller-Othzen. „Ankommen“soll aber keine „Derniére“, sondern eine „Première“sein: Zum ersten Mal kommt die Musik nicht vom Band, sondern Helmut Nadolski steht live am Kontrabaß. „Ich weiß noch nicht, was mich da erwartet“, sagt der Mann, der am Sonntag das Ende zum Anfang macht – um irgendwo neu anzukommen. Vielleicht im Baltikum, in England oder gar der Schweiz. Denn Bremen ist eh nur ein Durchgangsbahnhof, der je nach Standpunkt viele Stationen vor oder hinter sich hat. Katja Ubben

„Ankommen“, am Sonntag um 20 Uhr in der Kesselhalle im Schlachthof.

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