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Mit Qualität Abstürze vermeiden

■ Der Bremer Intensivmediziner Kuckelt kritisiert die Polemik über neue Techniken in der Intenvivmedizin / Verständnis für Behörden-Intervention

Ein Computerprogramm könnte künftig über Leben und Tod auf der Intensivstation mitentscheiden, titelte die Hamburger Zeitung „Die Woche“in ihrer neuesten Ausgabe. Sie bezog sich auf das neue Soft-ware-Programm RIYADH, das drei deutsche Kliniken angeschafft haben – darunter das Bremer Krankenhaus Links der Weser (LdW). Die Gesundheitsbehörde reagierte auf den Bericht, indem sie der Klinik den Einsatz des Computer-Programms vorerst untersagte. „Ein Schnellschuß“, kommentierte die Präsidentin der Bremer Ärztekammer, Dr. Ursula Auerswald. Auch Gesundheitsethiker an der Akademie Loccum warnten vor einem „billigen Spiel der Empörung“. Doch die Ethik-Kommission der Kammer wird bis Ostern über ethische Komponenten bei RIYADH befinden. Die taz sprach mit dem Chefarzt für Intensivmedizin am Krankenhaus LdW, Prof. Werner Kuckelt, über Vorteile, Risiken und Nebenwirkungen von RIYADH.

taz: Herr Kuckelt, in ihrem Haus, so berichtet „Die Woche“unter dem Titel „Der digitale Todesbote“, könne man mit Hilfe eines Computerprogramms errechnen, wann sich der Kampf der Ärzte um das Leben eines Patienten nicht mehr lohnt. Was ist da dran?

Prof. Kuckelt: Im Sinne dieser Formulierung nichts. Aber wir benutzen hier in der Intensivmedizin das Riyadh-Programm als wertvolles Werkzeug zur Qualitätssicherung und -kontrolle bei der Behandlung kritisch Kranker. Diese Werkzeuge gibt es zunehmend. Weil uns das Geld fehlte, mußten wir auf eine einfachere Variante ausweichen. Sie erfaßt Daten off-line, indem man sie über das Keyboard eingibt.

Umstritten ist, wofür die Daten verwendet werden.

Das kann ich mir vorstellen. Aber wenn man Qualitätssicherung und -kontrolle betreiben will, dann braucht man Informationen und Daten, damit man das Behand-lungsergebnis in dem Sinne bewerten kann, daß man beurteilt, ob es gut oder schlecht ist.

Was heißt das konkret? Immerhin unterlegt „Die Woche“, daß anhand der klinischen Daten leicht errechnet – und folglich entschieden – werden könne, wie lange sich die Behandlung von todkranken Patienten „lohnt“.

Das habe ich auch gelesen und bin, wie wahrscheinlich der unbedarfte Leser, beunruhigt über diese Darstellung. Ich werde da auch zitiert...

... Sie sagen da, „wir könnten in Zukunft die Patienten besser erkennen, die wir mit einer Weiterbehandlung nur unnötig quälen würden“. Das heißt doch, daß anhand von Computerdaten über Leben und Tod entschieden wird.

Genau. Nur habe ich etwas anderes gesagt, nämlich: Die Entscheidung darüber, in welcher Form eine Therapie gemacht wird, wie lange sie fortgesetzt wird, welchen Umfang sie hat und unter welchen Umständen sie geändert wird, ist eine ärztliche, die man nicht an einen Computer delegieren kann. Der Computer ist bestenfalls ein Werkzeug, um Entscheidungen präziser herbeizuführen. Wir können sehr wohl bei Patientengruppen, bei denen unsere Therapiebemühungen nicht zum erwünschten Erfolg führen, feststellen, ob diese Form der Behandlung eventuell sinnlos ist. Das hätte die Konsequenz, daß wir versuchen müßten, die Therapiekonzepte so zu verändern, daß wir ein besseres Ergebnis sehen.

Man fürchtet natürlich, daß das zum Ende der Therapie führen könnte.

Es geht nicht um die Frage: Stellen wir alle Therapie ein? Sondern darum, ob wir andere therapeutische Wege beschreiten müssen. Das ist ein großer Unterschied.

Brenzlig wird es, wenn solche Entscheidungen mit finanziellen Aspekten vermengt werden.

Ja. Und das halte ich für äußerst problematisch. Ich frage mich auch, weshalb es ausgerechnet jetzt zu einer solchen Diskussion kommt. Ich meine, dafür gibt es eine ganz einfache Erklärung. Wir werden zur Zeit damit konfrontiert, daß es Grenzen der finanziellen Möglichkeiten gibt. Auch für die Medizin werden Gelder knapper. Also setzt man das in einen Bezug. Vor zehn Jahren wurden wir mit einer ähnlich ernsten Diskussion in der Intensivmedizin konfrontiert. Man machte uns damals den Vorwurf, eine unmenschliche Apparatemedizin anzuwenden und den Patienten damit seiner freien Entscheidung über Ja und Nein zur Therapie zu berauben. Ich meine, dem liegt die gleiche Angst der Öffentlichkeit zugrunde: Daß mit Ihnen, sollten Sie in eine solche Situation geraten, Dinge passieren, von denen Sie glauben, daß sie Ihnen nicht zum Vorteil gereichen. Diese Angst hat immer einen gesellschaftlichen Hintergrund.

Was ergibt sich daraus für Sie?

Wir brauchen in diesen Fragen, die potentiell alle Menschen betreffen können, viel Information und Aufklärung, Diskussion und Beweisführung innerhalb der Gesellschaft.

Nun wurde die Ethik-Kommission eingeschaltet. Solche Vorgänge bauen keine Ängste ab.

Ja. Die senatorische Dienststelle hat auf Berichte reagiert, nach denen man nicht ausschließen kann, daß die Diskussion dahin geht, daß hier etwas geschieht, was nicht im Sinne der Allgemeinheit ist. Ich habe großes Verständnis für diese Entscheidung. Aber ich sage, daß nach Prüfung und Diskussion der Dinge, die wir machen, diese Anwendungen weitergehen müssen. Das System besteht aus Komponenten, die es erlauben, Krankheiten nach ihrem Schweregrad zu klassifizieren und den notwendigen Aufwand an Behandlungsmaßnahmen zu bewerten. Mit den getrennten Komponenten arbeiten wir bereits seit langen Jahren.

Was sollen Vorteile für Patienten sein?

Der Patient will doch, daß die optimale Therapie mit optimalen Resultaten zu seiner Wiederherstellung angewendet wird. Natürlich sind wir zu lückenloser und plausibler Qualitätskontrolle verpflichtet. Stellen Sie sich vor, wir lassen nur drei Prozent Fehler in unserer Behandlung zu. Das heißt, bei etwa 100.000 Patienten würden das 3.000 sein. Stellen Sie sich vor, man ließe auf diesem Niveau Fehler bei Starts und Landungen am Flughafen in Bremen zu – Abstürze also. Nur indem wir alle Methoden nach hohen Standards kontrollieren, vermeiden wir Fehler.

Wer garantiert, daß der Computer eben keine Entscheidungen vorgibt?

Das ist eine Frage, die kann Ihnen eigentlich niemand so konkret beantworten. Zunächst einmal gehen wir davon aus, daß ein Patient dem Arzt gegenüber ein bestimmtes Vertrauen einbringt. Genauso müssen wir an dieser Stelle davon ausgehen, daß die Dinge, die wir machen, vertrauenswürdig sind. Ich gebe hier eine sehr, ich sage mal, blauäugige Erklärung ab. Natürlich ist Mißbrauch etwas, was als Möglichkeit immer gegeben ist. Aber wir haben schon eine Reihe von Kontrollinstrumenten, auf die wir setzen sollten.

Fragen: Eva Rhode

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