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Blasmusik mit Witzfiguren

■ Das „Willem Breuker Kollektief“setzt jetzt auf subtilere Gaudi

Vielleicht ist es ja eine schon Jahrzehnte währende Wette: Jemand nennt den banalsten und künstlerisch am meisten auf den Hund gekommenen Musikstil der ihm gerade einfällt, und Wilhelm Breuker schnappt sich sein Kollektief und veredelt Zirkusmärsche, Salonmusik, Western-Soundtracks oder Schlager mit raffinierten Arrangements, originellen Soli und hochironischen Stilbrüchen. Im musik-akademischen Jargon heißt dies „Verbindung von Kunstmusik mit Formen der populären Musik“, aber diese Definition hilft auch nicht viel weiter um zu erklären, warum die Blasmusik dieser holländischen Bigband bei dem durchgehend intellektuellen und kulturbeflissenen Publikum, das am Freitag abend den Lichthof des Übersee-Museums bis zum letzten Stehplatz füllte, solch einen enthusiastischen Erfolg auslöste. „Schmissig“war das Adjektiv, das einem Kritikerkollegen als erstes einfiel, aber ist das nicht fast so schlimm und aus der Mode gekommen wie „zackig“oder „fesch“? Mit den unter Jazzfans gängigen Wortklischees „hip“oder „cool“kann man dieser Musik jedenfalls nicht beikommen.

Breuker und seine Mitspieler wissen genau, was für ein mächtiger Klangkörper drei Saxophone, zwei Posaunen, zwei Trompeten sowie eine Geige, Bass, Klavier und Schlagzeug sein können, und als gute Theatermacher nutzen sie jeden Knalleffekt genauso effektiv aus, wie sie auch den einen oder anderen Lacher nicht verschmähen. In früheren Konzerten artete ihre Bühnenshow oft in regelrechte Comic-Happenings aus, bei dem sich etwa die verschiedenen Bläsersätze bekriegten. Mit solchen Clownerien hielt sich die Band an diesem Abend eher zurück. Da gab es zwar eine Slapstick-Einlage als mehrere Bandmitglieder versuchten, dem Tubaspieler während seines Solos das Mikrophon auf die richtige Höhe einzustellen; mitten in einem Stück erklang plötzlich eine Polizeisirene und die ganze Band gestikulierte empört, weil der Schlagzeuger angeblich nicht im richtigen Takt spielte, aber so richtig albern wurde es an diesem Abend nicht. Dafür waren viele Pointen in der Musik selber versteckt, etwa wenn ein Solo von Breuker aus dem freien Jazz in einen (fehlerlos auf dem Saxophon geblasenen) Lachanfall mündete, oder wenn Posaunist Nico Nijholt als Zugabe sehr schmalzig und ohne die Miene zu verziehen eine Schnulze sang.

Das Phänomenale dabei ist, wie leicht und nahtlos die Wechsel zwischen ernsthaftem Spiel und Parodie waren, aber vielleicht gibt es diese Grenze bei Breuker und seiner Gruppe gar nicht. Bei ihren Soli konnten die Musiker gleichzeitig auf hohem Niveau improvisieren und sich über sich selber lustig machen. Und so war dieser Konzertabend zugleich eine Gaudi und ein Kunstgenuß. Wilfried Hippen

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