Massenhaft Stunk: 600 Trecker im Widerstand

■ Mit der „Stunkparade“ protestiert die bäuerliche Notgemeinschaft gegen Atommüll

„Wir will dat Schiet nit hebben.“ Peter Geisler tritt aufs Gaspedal, er läßt seinen Trecker einen Satz nach vorn machen. Der Schiet, den der Bauer aus dem Wendland nicht haben will, der soll am Mittwoch im atomaren Zwischenlager in Gorleben versenkt werden. Und weil Peter Geisler „schon büschen an die Kinder denken“ muß, ist er losgefahren. Zusammen mit rund 600 Traktoren, auf denen die Kollegen aus dem Landkreis Lüchow- Dannenberg sitzen. Die bäuerliche Notgemeinschaft hat zur „Stunkparade“ aufgerufen.

Alles, was fahren oder laufen kann, ist aufgebrochen zum Verladekran bei Gorleben. Riesige Landmaschinen mit vollbesetzten Anhängern tuckern neben kleinen Pkws, aus denen Fahnen und Plakate geschwenkt werden.

Motorradkonvois, die Fahrer in schwarzem Leder, schlängeln sich zwischen Familien mit Picknickkörben, Rentnern auf Fahrrädern und immer neuen Traktorenpulks durch die Kiefernwälder hinter Lüchow. Partystimmung herrscht im Landkreis, zwei Tage vor der erwarteten großen Schlacht.

„Die Bauern waren von Anfang an beim Widerstand“, weiß Peter Geisler. „Weil das alles nicht mehr hinhaut, das System.“

Zum System gehört für den langjährigen Widerständler vor allem die Polizei, die jeden Feldweg neben der Straße abgeriegelt hat. Polizisten haben ihn bei der Demo im letzten Jahr vom Trecker geholt, weil er „auf eine Polizeikette losgefahren“ sein soll. Ein Jahr lang war der Führerschein weg. Seitdem macht Peter Geisler keine Kompromisse mehr.

Vor die Wasserwerfer wird er sich setzen. Wie Peter Schulz. Der lümmelt zwischen Strohballen und zwei Kisten Bier hinten auf dem Anhänger. Mit fünf Kumpels und einer Freundin wird hier die Fete von gestern abend verdaut. Und wird überlegt, wie alles laufen soll, wenn der Castor kommt. Daß man „ratzfatz eins auf die Fresse kriegt“, das weiß der dreiundzwanzigjährige Student aus Lübeln noch vom letztenmal. „Da hatte ich schon Sand in der Hand zum Schmeißen.“

Geworfen hat er dann doch nicht. Nicht zuletzt, weil das eigentlich nur die „Demonstrationstouristen aus der Stadt“ machen. „Da gibt es Leute, die kommen hier an und fragen, wo ist denn das Atomkraftwerk“, erzählt Hannelore Schulz. Arme Stadtmenschen eben, was soll's. Daß man sich über jeden freut, der kommt, und daß „jedes Jahr mehr Leute auftauchen in Gorleben“, das finden die sechs Kids auf dem Wagen „natürlich total toll“.

Seit sie denken können, gibt es den Widerstand im Wendland. Ole Struckmann war schon mit neun Jahren bei Bohrloch 1004 in der Freien Republik Wendland. Nach Braunschweig ist der 27jährige Erzieher später gezogen. Und zurückgekehrt ins Wendland. Weil die Leute hier „irgendwie was ganz Besonderes“ sind, aber keineswegs alle einer Meinung.

Die Eltern von Wolfgang Wappaus haben sich gestritten vor ein paar Tagen. Weil die Mutter Brot für die Bürgerinitiative gebacken hat. Und der Vater plötzlich nicht mehr wollte, daß sie es zu den Demonstranten bringt. Obwohl er selbst einen Anhänger für die Stunkparade zur Verfügung gestellt hat. „Manche Leute sind eben bißchen trübe drauf“, meint Wolfgang Wappaus, ein wenig hilflos mit den Achseln zuckend, „die gehen nicht zur Demo, weil sie Angst haben, daß der Traktor kaputtgeht. Aber bei den meisten ist es jetzt modern, dagegen zu sein.“

Dagegen zu sein, das heißt im Wendland längst nicht mehr, gegen den Castor-Transport und gegen die Zwischenlagerung von Atommüll zu sein, es meint vielmehr, gegen den Protest zu sein. Die sechs auf dem Hänger kennen alle im Dorf, die diesmal nicht mitziehen. Hotti zum Beispiel. Der war früher bei jeder Kundgebung dabei, aber heute ist er auch „trübe drauf“, erzählt Peter Schulz. „Der arbeitet seinen Arsch ab, und liegt nur noch auf dem Sofa.“ Dafür reihen sich inzwischen ein paar prominente Konservative beim Widerstand ein. „Der Trecker, der unseren Wagen zieht, den hat uns ein Kreistagsabgeordneter der CDU geliehen“, erzählt Schulz weiter. Die Parteien „spielen in den Gemeinden inzwischen keine große Rolle mehr“.

Die Straßenverkehrsordnung auch nicht. Besonders auf den Asphaltwegen zwischen Gorleben und der großen Kundgebungswiese, über die inzwischen Massen von Fußgängern stapfen.

„Home, sweet home, ohne Atom“, grölt ein Trüppchen mit bunten Haaren auf einem uralten Trecker, der Lesbenwagen läßt sich von dackelführenden Senioren bejubeln. Auch Steißlingen stellt sich quer, erfahren die Schaulustigen am Straßenrand.

Peter Geisler läßt sich nicht aus der Ruhe bringen. Sein Trecker ist inzwischen hoffnungslos eingekeilt zwischen einem Dreirad, draufmontiertem Pappschwein und einer überdimensionalen Landmaschine mit Piratenflagge. „Abwarten, was da kommt“, meint der Landwirt aus dem Wendland nur, „Hauptsache durchkommen irgendwann“. Constanze v. Bullion