: Hühnerwahnsinn wirft Fragen auf
Der britische BSE-Forscher Narang hat Hirne der erkrankten Tiere untersucht. Statt Prionen könnten doch Viren ursächlich für die Krankheit sein. Weitere Experimente sind nötig ■ Aus Newcastle Ralf Sotschek
Können sich Hühner mit Rinderwahnsinn anstecken? Auch fünf Wochen nach der Meldung über ein verrücktes Huhn in England läßt sich die Frage nicht eindeutig beantworten. Der BSE- Forscher Harash Narang aus Newcastle hatte am 18. Januar ein Huhn einschläfern lassen, das alle äußeren Symptome des Rinderwahnsinns zeigte (siehe taz vom 20. 2.). Auch in Wales waren bei zwei Hühnern vergleichbare Symptome aufgetaucht.
Der Bonner Landwirtschaftsminister Jochen Borchert stellte sogleich eine Ferndiagnose: Das Huhn sei eine Ente, sagte er. Analysen hätten eindeutig ergeben, daß es sich um einen Fall von Newcastle-Krankheit handle, gegen diese Krankheit könne geimpft werden.
Eines der beiden Hühner war gegen die Newcastle-Krankheit geimpft. „Außerdem war es das einzige Huhn von 30, das krank geworden ist“, sagt Narang. Die Newcastle-Krankheit ist jedoch hochgradig infektiös. Die Hühner sterben innerhalb von höchstens drei Wochen. Die Hühner mit BSE-Verdacht waren jedoch schon drei Monate krank, als sie eingeschläfert wurden.
Am vergangenen Wochenende untersuchte Narang die Hühnerhirne unter dem Mikroskop. Einen Tumor konnte er ausschließen. Und BSE? „Es gibt zwar nicht die typischen Verklumpungen“, sagt er, „aber einen Rückgang an Nervenzellen sowie eine große Anzahl geschrumpfter Nervenzellen. Das ist unerklärlich. Dieses Phänomen hat man auch bei Mäusen beobachtet, denen BSE-Gewebe injiziert wurde.“
Die französische Wissenschaftlerin Corinne Lasmezas und Kollegen haben vorigen Monat einen Forschungsbericht veröffentlicht. Sie hatten Mäusen den BSE-Erreger ins Hirn gespritzt. Erwartungsgemäß erkrankten alle Tiere, doch bei 55 Prozent traten keine Verklumpungen im Hirn auf. Lasmezas fand lediglich einen Rückgang an Nervenzellen und geschrumpften Zellen. Als sie dieses Hirnmaterial anderen Mäusen injizierten, erkrankten sämtliche der neuen Versuchstiere an BSE. Daher, so schlußfolgerten die Forscher, sei das Prion-Protein, das von vielen Experten für den Erreger gehalten wird, zwar möglicherweise für die Anpassung im neuen Wirtstier verantwortlich, doch „ein bisher nicht identifizierter Erreger könnte BSE übertragen“, heißt es in dem Bericht. Lasmezas tippt auf eine Nukleinsäure – also einen Virus.
Das glaubt Narang bereits, seit BSE zum ersten Mal aufgetaucht ist. Er möchte, daß Lasmezas und Kollegen ihre Mäuse-Experimente mit den beiden Hühnerhirnen wiederholen. „Wir dürfen nicht einfach behaupten, daß die Krankheit nicht auf Hühner übergesprungen ist“, sagt Narang. „Wir müssen dringend Experimente durchführen.“ Erst danach kann man mit Sicherheit sagen, ob die beiden Hühner den Rinderwahnsinn hatten oder nicht.
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