Schottenkaros für Alt-68er

■ Im Innovations-Zentrum tagen heute ExpertInnen über „Alter und Design“

ine ungewöhnliche ExpertInnenrunde kommt heute im „Bremer Innovations- und Technologiezentrum“an der Uni zusammen: Gerontologen, Ergonomen, Designer und Architekten aus Deutschland, den Niederlanden, Großbritannien und der Schweiz treffen sich, um über „Alter und Design“zu sprechen. Die Fragestellung: Wie können Gebäude und Gebrauchsgegenstände altengerecht gestaltet werden? Und nicht nur das. Im Grunde geht es um die Menschenfreundlichkeit der Produkte, sagt Dagmar Hilbert vom Design-Zentrum.

taz: Wie sind Sie auf das Thema Design für Alte gekommen?

Dagmar Hilbert, Projekt-Managerin im Design-Zentrum: Wir arbeiten schon seit zwei Jahren zusammen mit der Bremer Architektenkammer an einem Projekt mit dem Titel „Zusammenleben gestalten – Design und Architektur ohne Barrieren“. Da geht es darum, integrative Gestaltungskonzepte zu erarbeiten...

...haltstopp, was heißt das?

Ganz einfach: Die Umwelt soll so gestaltet sein, daß sie allen Menschen dienlich ist. Da geht es nicht nur um Design für alte Menschen. Kleine Kinder haben genauso große Schwierigkeiten, sich zurechtzufinden, oder Leute, die sich gerade den Arm gebrochen haben, oder Menschen, die permanent im Rollstuhl sitzen.

Design und Architektur ohne Barrieren – das hört sich an, als ginge es Ihnen zuallererst um die Funktionalität von Produkten und von Architektur, nicht um die Ästhetik. Das riecht danach, daß alte Menschen vor allem behinderte Menschen sind. Ob die funktionalen Lösungen für sie auch schön sind, darum geht es nicht.

Stimmt schon, daß es zuerst um die Fuktionalität geht. Aber, um einem Mißverständnis vorzubeugen: Wir entwickeln nicht Hilfsmittel für Behinderte. Barrieren – dabei geht es nicht nur um konkrete Barrieren, sondern vor allem um Haltungen und Wahrnehmungen, um die Barrieren in den Köpfen. Wie gehe ich eigentlich mit den Menschen und der Umwelt um? Merke ich überhaupt, daß der Lichtschalter für viele Menschen zu hoch ist, die Tastatur auf dem Telefon oder auf dem Computer zu klein.

Roger Coleman wird bei unserem Kongreß über eine Untersuchung von Londoner Supermärkten berichten. Wo werden Produkte plaziert? Kommen da alte Menschen überhaupt ran? Die Kette „Safeway“hat nach dieser Studie einiges umgestellt. Und dabei sind außerdem Marmeladengläser mit viereckigen Deckeln entwickelt worden. Wenn man Probleme mit den Händen hat, kann man eben keine runden Deckel aufschrauben. Ganz egal, wie alt man ist.

Ich möchte nochmal auf die Ästhetik zurückkommen. Kommt die bei diesem Ansatz nicht zu kurz? Wir sehen mit Grausen die Schuhe für alte Frauen, die Fußprobleme haben. Die mögen meinetwegen fuktional sein, aber sie sind pottenhäßlich.

Ganz richtig. Genauso wie die Einkaufswagen, die man hinter sich herziehen kann.

Immer mit demselben blaugelbgrünen Schottenkaro.

Genau. So kriegen diese Produkte ein Stigma. Darüber reden wir natürlich auch. Deshalb sind ja auch die Designer dabei. Die sollen den Part übernehmen, daß die Produkte auch anständig aussehen – damit ich mir vielleicht auch mal so einen Wagen kaufe, obwohl ich nicht alt und gebrechlich bin, sondern weil er einfach praktisch ist.

Wie kommt es eigentlich, daß der Markt auf dieses Thema noch nicht reagiert hat? In den USA ist das beispielsweise ganz anders. Da sind die Alten als potente Käuferschicht längst entdeckt.

Nicht nur die USA sind da weiter, auch in England läuft es anders als bei uns. Die Angelsachsen scheinen da weniger Probleme als die Deutschen zu haben. Wir haben das Gefühl, daß die Deutschen dazu tendieren, die Menschen, die nicht funktionieren, eher zu verstecken. Das hat möglicherweise auch noch was mit dem Dritten Reich zu tun.

Dabei ändert sich mittlerweile auch hier was. Die Werbespots werden anders. Wir bekommen mit unserem Projekt jetzt auch mehr Anfragen von Unternehmen. Die riechen den Braten schon. Man weiß schon, wie sich die Alterspyramide entwickelt. Im Jahr 2010 wird über ein Drittel der Deutschen über 55 Jahre alt sein. Der Markt ist da – langsam geht's los.

Die 60jährigen vor 20 Jahren waren ja ziemlich anders als die 60jährigen heute. Und langsam kommt auch die 68er-Generation ins Zausel-Alter. Glauben Sie, daß der Markt durch diese Generation nochmal zusätzlich einen Push bekommt?

Klar. Die Zielgruppe „alte Menschen“ist ja auch nicht homogen. Es ist ein Unterschied, ob man die Gruppe zwischen 55 und 65 anpeilt oder die über 65. Ab 75 häufen sich die Krankheiten extrem, da brauchen die Menschen ganz andere Unterstützung und Hilfsmittel. 55jährige stellen sich eher nochmal aufs Surfbrett.

Verändert sich im Hinblick auf die 68er auch die Architektur? Schließlich war das die erste Generation, die mit neuen Formen des Zusammenlebens experimentiert hat. Und sowieso wird sich die Gesellschaft in Zukunft kaum leisten können, alle Gebrechlichen in Einrichtungen unterzubringen. Es wird eh auf Alten-WGs rauslaufen.

Sicher, aber bei diesem Kongreß ist das nur ein Thema am Rande. Es ist sowieso nur ein Architekt da. Aber wir haben uns schon um das Thema gekümmmert. Wobei wir uns auch da nicht so sehr auf alte Menschen sondern auf alle konzentrien. Es soll nicht sein wie in Phoenix in den USA, wo in einem Vorort nur noch alte Leute in ihren schicken Einfamilienhäusern hocken. Wir setzen viel mehr auf generationsübergreifende Projekte. Und eben nicht nur für alte Menschen.

Fragen: Jochen Grabler