Datenschutz wird zurückgedrängt

■ Datenschutzbeauftragter kritisiert „wahlloses“ Fotografieren der Polizei am Breitscheidplatz. Jahresbericht vorgelegt

„Wir haben den Eindruck, daß dem Datenschutz nicht mehr der Stellenwert eingeräumt wird wie bisher“, stellte der Datenschutzbeauftragte Hansjürgen Garstka gestern fest. Anläßlich der Vorstellung des Datenschutzberichtes für das Jahr 1996 kritisierte er „eine Verpolizeilichung des Denkens“ und machte den Sicherheitsbehörden den Vorwurf, sich über Datenschutzbestimmungen hinwegzusetzen. Dabei habe das Recht auf informationelle Selbstbestimmung Grundrechtcharakter. Zunehmend, so Garstka, gewännen Kräfte Raum, die dem Datenschutz ablehnend gegenüberstünden und die Zusammenarbeit mit dem Datenschutzbeauftragten verweigerten.

In dem Bericht heißt es: „Die ständig wiederholte Behauptung, die organisierte Kriminalität nehme bedrohlich zu und mache deshalb eine Ausweitung der Befugnisse der Strafverfolgungsbehörden – und daraus ergeben sich in der Regel weitere Einschränkungen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung – erforderlich, läßt sich jedenfalls an den zuletzt vorgelegten Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik nicht nachweisen.“

Ins Zentrum der Kritik stellte Garstka die Praxis der erkennungsdienstlichen Behandlung der Polizei. „Es geht nicht an, daß jeder Tourist am Bahnhof Zoo fotografiert wird“, kommentierte er das „wahllose“ Fotografieren und Kontrollieren rund um den Bahnhof Zoo und den Breitscheidplatz. Dies sei auch in den nach dem Polizeigesetz als „gefährliche Orte“ klassifizierten Gebieten nicht zulässig.

Er kritisierte auch einen Fall unverhältnismäßiger erkennungsdienstlicher Behandlung. „Wenn rumänische Abschiebehäftlinge mit Jacken ohne Reißverschluß, mit entblößter Brust und zerrissenen Kleidungstücken abgebildet“ würden, sei dies, so Garstka, „menschenverachtend, unverhältnismäßig und die Aufbewahrung der Fotos unzulässig“. Einen hohen Stellenwert räumte Garstka gestern auch dem Datenschutz im Internet ein. Er kritisierte staatliche Bestrebungen, Verschlüsselung (Kryptographie) zu verbieten. Der Staat könne dann ungehindert private elektronische „Post“ mit lesen. Garstka sprach sich deshalb für die Freigabe der Kryptographie aus.

Weitere Schwerpunkte im Jahresbericht sind die Erforschung der DDR-Vergangenheit – Garstka kritisierte den unverhältnismäßig offenen Zugang zu den DDR-Aktenbeständen – und der Datenschutz für Mieter. Zu dem Streit mit Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) um die Weitergabe von Aufenthaltsorten illegal hier lebender Ausländer an die Ausländerbehörde sagte Garstka, die „atmosphärischen Dinge“ seien ausgeräumt, aber der Streit sei ein Beispiel dafür, wie versucht werde, „ein gesellschaftliches Problem durch Melderegeln zu lösen“. Barbara Junge