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Eine Maus, die beißt, immerhin

Das 3:1 gegen AJ Auxerre im Viertelfinalhinspiel der Champions League ist für Borussia Dortmund mathematisch gut, aber tückisch  ■ Aus Dortmund Matti Lieske

„In Frankreich ist es so, daß alle, die träumen wollen, träumen dürfen“, sagt Guy Roux, ein Mann, der beileibe nicht aussieht wie der Trainer einer europäischen Spitzenmannschaft, sondern eher wie ein gemütlicher Weinbauer aus dem Burgund mit einer gewissen Affinität zur eigenen Produktion. Seit 35 Jahren widmet sich Roux jedoch nicht dem Keltern edler Tropfen und dem abendlichen Billardspiel, sondern er betreut das Fußballteam von AJ Auxerre, mit dem er in dieser Saison so weit gekommen ist wie noch nie: ins Viertelfinale des Landesmeistercups.

35 Jahre in Diensten eines minderbemittelten Provinzklubs haben den 58jährigen vor allem Gelassenheit und eine Art listige Bescheidenheit gelehrt. Selbst nach dem bitteren 1:3 im Hinspiel bei Borussia Dortmund, das am Ende gut und gern ein 2:3 oder gar 3:3 hätte sein können, wirkte Roux entspannt. Aufgeräumt plauderte er über das Spiel, ließ es sich aber nicht nehmen, gelegentlich abzuschweifen. Wieso es ausgerechnet in Dortmund holländisches Bier zu trinken gäbe, beschwerte er sich im Presseraum, dann empfahl er allen deutschen Journalisten, doch bitte in zwei Wochen ins Burgund zu kommen.

Nicht etwa wegen des Rückspiels im Abb-Deschamps-Stadion, sondern um die kulinarischen Vorzüge der Region kennenzulernen. Und wären Vertreter der nordrhein-westfälischen SPD im Raum gewesen, hätte es sicher frenetischen Beifall gegeben, als er sich darüber beklagte, daß eine Stadt wie Dortmund einen derart schäbigen Flughafen habe, von dem man nicht mal nachts nach Frankreich fliegen könne. Zwischendurch versuchte er, die Borussen einzuwickeln.

Natürlich, das 1:3 sei mathematisch schon ein besseres Resultat als jenes 0:2, das die Franzosen 1993 im Uefa-Cup-Halbfinale gegen den BVB wettmachten, um dann im Elfmeterschießen doch auszuscheiden. Aber Dortmund sei inzwischen viel besser als vor vier Jahren. „Damals war die Borussia eine Katze, jetzt ist sie ein Tiger“, hatte Roux schon vor dem Match im Westfalenstadion den Metaphernschatz von Mao Tse- tung geplündert. Und Auxerre? – „Eine Maus.“ Eine Maus, die beißt, immerhin. Zumindest in der Champions League.

In Frankreich hatte der Meister, dem vor der Saison mit Blanc (Barcelona) und Martins (La Coruna) die besten Kräfte abhanden kamen, vier Spiele lang keinen Treffer erzielt, und Roux war sicher: „Wenn wir heute so gespielt hätten wie zuletzt, hätten wir acht Tore kassiert.“ Aber die Franzosen spielten viel besser, worauf die Borussia, die nicht auf die Tiefstapelei des Gästecoachs hereinfiel, vorbereitet war. „Ich bin froh“, sagte BVB-Trainer Ottmar Hitzfeld, „daß wir uns nicht haben einlullen lassen.“

Die Spieler beider Teams gingen von Anfang an äußerst engagiert zu Werke, rannten so inbrünstig herum, als seien sie allesamt Klinsmänner, und ließen dem Gegner im Mittelfeld keinen Meter Raum. Die Folge waren viele Ballverluste. Die Dortmunder, die auf Sammer verzichten mußten, konnten sich glücklich schätzen, daß sie Paulo Sousa haben, mit dem ihr Spiel gewaltig an Konstruktivität gewonnen hat. Der zweikampfstarke Portugiese, der auch in Bedrängnis den Ball zu behaupten und in sinnvoller Weise abzuspielen weiß, wurde permanent gesucht, und so entwickelten sich aus dem unübersichtlichen Mittelfeldgetümmel erstaunlich häufig ansehnliche, schnelle Angriffe. Meist über die linke Seite, wo der agile Heinrich erheblich effektiver war als rechts Ricken, dem offenbar das Einrücken zur Bundeswehr auf den Spielwitz geschlagen war. Vorne mühten sich Chapuisat und Riedle, der einen verzweifelten Kampf mit Gegner und Ball ausfocht, wobei er ersteren in der griechisch-römischen Wertung eindeutig gewann. Das Duell mit dem widerspenstigen Spielgerät ging unentschieden aus.

Lohn der Mühe waren zwei schöne Tore durch Riedle (12.) und Schneider (54.), bevor die Franzosen, deren flinke Angriffe besonders über die Techniker Lamouchi und Saib liefen, eine Viertelstunde vor Schluß nach bezaubernder Kombination den prekären Anschlußtreffer erzielten.

Glück für die Borussen, daß die französische Abwehr beim von Tanko schön vorbereiteten 3:1 durch Möller (83.) genauso großzügig zuschaute wie die der Dortmunder beim Auxerre-Treffer. Mehr Glück, daß der umsichtige Schiedsrichter Garcia Aranda aus Spanien, der schon nach fünf Minuten mit der Aberkennung eines BVB-Tores wegen Handspiels Marcel Reif aus den haßerfüllten Herzen der Borussen-Fans verdrängt hatte, ein Fallrückziehertor von Laslandes kurz vor der Pause wegen gefährlichen Spiels nicht gegeben hatte. Extrem viel Glück, daß Torhüter Klos in den letzten Minuten bei einem abgefälschten Freistoß und einem weiteren Fallrückzieher von Laslandes bravourös parierte. Da war Dortmund ohne den vom Referee notgebremsten Reuter plötzlich sehr lax geworden. Noch ein Gegentor hätte die westfälische Raubkatze ziemlich schnell zum zahnlosen Papiertiger mutieren lassen.

So aber könne man „mit dem Ergebnis leben“ (Hitzfeld), auch wenn es „gefährlich“ (Reuter) sei. Und sollte die Maus in zwei Wochen doch noch unverhofft zubeißen, bleibt wenigstens die burgundische Küche als Trost. Guy Roux wird sicher gern den Mundschenk spielen.

Zuschauer: 47.500

Gelb-rote Karte: Reuter (89./wiederholtes Foulspiel)

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