: Terror einer herrschenden Klasse
■ betr.: „Bis Blut kommt“, „Dann bist du erledigt“, taz vom 15./16.2. 97
Regisseur Nicholas Hytner scheint zwei Filme mit dem Titel „Hexenjagd“ gedreht zu haben: den, den Mariam Niroumand rezensierte und zu dem sie Hytner interviewte – und den, den ich gesehen habe.
Niroumands Film ist eine Metapher für den „Mißbrauch mit dem Kindesmißbrauch“ – hysterische Mädchen bringen Unschuldige aufs Schaffott (in den Knast), weil ihnen von übereifrigen Sozialarbeiterinnen (bevorzugt Feministinnen) eine Leiderfahrung suggeriert wurde, die sie niemals erlebten – und das grausame Regime der Mädchen zweifellos auf einer Stufe mit Pinochets, Ceaușescus und ähnlicher Henker Diktatur.
„Mein“ Film ist nahezu identisch mit dem Bühnenstück Arthur Millers aus den 50er Jahren, der auch das Script für Hytner schrieb. Eine puritanische moralisch-repressive Mikrogesellschaft in der Ortschaft Salem, in der Kindern nur erlaubt war, „aufrecht, mit gesenktem Blick und gestrafften Armen einherzugehen und zu schweigen, bis sie gefragt wurden“ (Miller). Der kleine nächtliche Tanzausbruch pubertierender Mädchen und ihr Versuch, sich drohenden Sanktionen zu entziehen, setzt eine Maschinerie in Gang, die sie letztendlich nicht kontrollieren. Denn die repressive Moral ist vorher da, nicht von ihnen geschaffen, ebenso wie der Apparat und das Interesse, Aberglauben zu instrumentalisieren für durchaus weltliche Zwecke.
Wie der Glaube an menschliche Hexen in Europa von der christlichen herrschenden Macht mit dem Scheiterhaufen gegen die Menschen erzwungen wurde, so setzen sich auch in Salem die konsequentesten Agenten der Inquisition gegen die Rationalität besorgter Gemeindemitglieder durch: der Richter mit dem konservativen Programm, der reiche Landbesitzer, der Land gehenkter „Hexen“ billig aufkaufen will, der Pastor, der sich an Gemeindemitgliedern bereichert und seine Position bedroht sieht. Es geht – generalisiert – um Hexenverfolgung als Terror einer herrschenden Klasse, um Unterordnung zu erzwingen.
Deshalb konnte Miller die Geschichte von Salem als Metapher für die in den USA tobende Hexenjagd der McCarthy-Ära, die moderne Inquisition zur Ausrottung der amerikanischen Linken und organisierten Arbeiterbewegung mit dem Ritual des Bekenntnisses, Kommunist zu sein, und der Denunziation – „Namen nennen“ – nutzen und wurde auch so verstanden.
Wenn Hytner mit seiner Version von „Hexenjagd“ etwas anderes zeigen wollte, ist es ihm glücklicherweise nicht gelungen.
Den Film wie Niroumand wahrzunehmen, dazu gehört Realitätsverlust, der motiviert ist von dem Bemühen, sich der reaktionären Katharina-Rutschky-Karawane anzuhängen, um tatsächlich Mißbrauch mit dem Kindesmißbrauch zu treiben. Rosemarie Nünning, Berlin
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