: Klinsmann, Elvis und die Göttin der Zerstörung Von Ralf Sotscheck
Daß die meisten Engländer irgend eine Macke haben, ist allgemein bekannt. Weniger bekannt ist, daß der Ost-Londoner Stadtteil Shoreditch geradezu eine Brutstätte für exzentrische Eigenschaften ist. Man schaue sich bloß zwei Ereignisse an, die sich dort in der vergangenen Woche völlig unabhängig voneinander zugetragen haben.
Sid Shaw hat einen kleinen Laden in Shoreditch, in dem er große Geschäfte macht: Er verkauft Elvis-Presley-Fanartikel, und damit hat er immerhin schon drei Millionen Pfund eingenommen. Das ist auch dem US-Unternehmen Elvis Presley Enterprises aus Memphis zu Ohren gekommen, und man war darüber gar nicht froh. Schließlich glaubte man sich im Besitz der Markennamen Elvis, Elvis Presley und Elvis A. Presley. So zog man in Shoreditch vor Gericht.
Die US-Firma ging in ihrer Klageschrift offenbar davon aus, daß der King of Rock'n'Roll noch am Leben sei. Das wußte Richter Hugh Laddie, ein Altrocker, aber besser: „Wir führen diese Verhandlung in der Annahme, daß der King tot ist.“ Peter Prescott, der Anwalt der vermeintlichen Elvis- Eigentümer, reichte dem Richter ein Beweisstück: ein Stück Seife, auf das der Kopf des toten Königs sowie der Spruch „Elvisly Yours“ eingraviert war – hergestellt von dem englischen Elvis-Erbschleicher. „Zieht sich die Inschrift durch das ganze Stück Seife hindurch“, fragte der Richter neugierig, „oder verschwindet Elvis durch den Abfluß, wenn man sich damit wäscht?“
Das wußte Prescott nicht. Doch er behauptete, daß Elvis-Fans Wert darauf legten, einen garantiert autorisierten Artikel zu kaufen. Blödsinn, entgegnete Richter Laddie: Wer zum Beispiel eine Anstecknadel für den US-Unabhängigkeitstag kaufe, dem sei es vollkommen schnuppe, ob das Ding von Washington oder sonstwem abgesegnet sei.
Autorisiert oder nicht – garantiert echt sind auf alle Fälle die Kunstwerke, die ganz in der Nähe von Shaws Elvis-Laden in einer Galerie in der Old Nichol Street hängen. Es handelt sich dabei um kaputte bunte Schippen – von der Künstlerin Kali persönlich zerbissen. Die lag mit ihrem neuen Anti- Floh-Halsband in der Ecke und arbeitete an einem neuen Werk. Kali ist nach der Göttin der Zerstörung benannt. Es ist aber kein Pseudonym: Die Künstlerin hieß schon als Welpe so. Kali ist eine Labrador-Hündin.
Bei der Vernissage vorige Woche erklärte Anthony Rendall, der französische Agent der Kunsthündin: „Ihr Engländer liebt eure Hunde mehr als alles andere auf der Welt. Gleichzeitig mißtraut ihr niemandem stärker als zeitgenössischen Künstlern.“ Mit anderen Worten: Kalis Kunst wird England in einen Gewissenskonflikt stürzen. Genau wie damals Jürgen Klinsmann, als er für Tottenham Hotspurs Fußball spielte: Die Medien ernannten ihn zum sympathischen Cleansmann, ärgerten sich aber gleichzeitig, daß er ihnen so hartnäckig die Vorurteile über die Deutschen vermasselte.
Man könnte Kali mit Sid Shaw zusammenbringen, sollte der den Prozeß gegen Elvis Presley Enterprises verlieren. Kali könnte sich dann über die Elvis-Seife hermachen und sie zu Kunstwerken veredeln. Wer wollte sich nicht mit einem Elviskopf waschen, den zuvor ein Labrador im Maul hatte? Jedenfalls in Shoreditch.
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