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Konspiratives Kleben

Stadt und Bezirke gegen Plakatierer: Briefe und Bußgelder bringen die Branche zusammen  ■ Von Ulrike Winkelmann

„Mafiaähnliche Strukturen“, illegale und „schon fast kriminelle Plakatierkolonnen“sieht Götz Gerhardt-Gade am Werk. Der Vorsitzende der Bezirksversammlung Eimsbüttel hat beschlossen, der „Verschandelung des Stadtbildes“durch Werbeplakate moralisch beizukommen und hat einen Brief geschrieben: „Sagen Sie NEIN zur Unwirtlichkeit unserer Städte“, ruft er den Kunden des wilden Plakatier-Business' entgegen. Dazu zählen nicht nur das Thalia Theater, der HSV und die Kampnagel-Kulturfabrik, sondern auch das Deutsche Schauspielhaus, der NDR und nicht zuletzt die Kulturbehörde, die für die Galerie der Gegenwart mit wild geklebten Zetteln wirbt.

„Einzig der Intendant des NDR, Jobst Plog, hat mir zurückgeschrieben und behauptet, von nichts zu wissen“, berichtet Gerhardt-Gade von ersten Reaktionen. Der HSV habe telefonisch Besserung versprochen und in der nächsten Nacht eine neue Plakat-Rolle durch die Stadt leimen lassen. Recherchen innerhalb der Strukturen des nach Gerhardt-Gades Meinung „dubiosen Geschäfts“scheiterten an einer „Wand des Schweigens“: Plakatieren ist eine konspirative Angelegenheit.

Früher, wissen ehemals kleine, idealistische Kleber, war alles besser. Früher hatten Plakatierer noch Ehre im Leib: Kleine Subkulturveranstaltungen wurden gegenüber der Produktscheiße großer Verlage bevorzugt, noch ausstehende Termine wurden nicht überklebt, und politische Plakate durften auch einen oder zwei Tage extra hängenbleiben.

Mittlerweile hat sich jedoch nicht nur bei den Klebern herumgesprochen, daß „wildes“oder auch „illegales“Plakatieren ein einträgliches Geschäft ist. Auch die Kundschaft läßt lieber für bis zu 85 Pfennig ein DIN-A1-Plakat kleben, das dann auf allerdings unbestimmte Zeit hängen bleibt, als den gleichen Preis pro Tag bei der Hamburger Außenwerbung zu zahlen. Letztere ist der einzige „legale“Plakatierer in Hamburg und führt die Hälfte ihres Umsatzes an die Stadt ab. 1996 hat die Außenwerbung rund 15 Millionen Mark an die Stadt gezahlt.

Spätestens seit der eingesessene Leim-Klüngel Konkurrenz von auswärtigen Unternehmen bekommen hat, die die traditionelle Aufteilung der Reviere vollends ruinieren, haben sich in der Branche unschöne Sitten breitgemacht: Immer mehr Leimer finden ihr nächtliches Werk bereits im Morgengrauen von anderen überklebt.

Die zunehmende Tapezierung der Stadt – zumal mit wenig ansprechender TV-Spielfilm-Werbung en gros – ist auch der Bürgerschaft nicht entgangen: Im Februar beschloß sie gegen die Stimmen der GAL-Fraktion, den Klebern auf den Quast zu rücken und erhöhte das Bußgeld für illegales Plakatieren von 1000 auf 100.000 Mark. Aber schon auf eine von vielen Anfragen der CDU-Fraktion, was der Senat denn gegen die „Verunstaltung des Stadtbildes“durch Wildplakatierer zu unternehmen gedenke, mußte dieser vergangenen September zugeben, daß dank der „verschachtelten und tiefgestaffelten Organisationsstruktur dieser Branche“deren Wirken schlecht zu ahnden sei.

„Eben deshalb lohnt es sich, beim Verursacher anzusetzen“, rechtfertigt Gerhardt-Gade den möglicherweise mangelnden Realismus seines Offenen Briefs. Die Bezirke, die schließlich die Senats- und Bürgerschaftsbeschlüsse umsetzen müßten, hätten gewaltig zu tun, wenn sie fürderhin jedem Leimi nächtens auflauern wollten. Bestraft werden könnte der dann auch nur für das Plakat, das noch zwischen Händen und Wand klebt, nicht jedoch für die vielleicht hundert gleichen, die bereits an derselben Fläche hängen. Eine regelmäßige Reinigung verklebter Flächen würde zweistellige Millionenbeträge kosten.

Und während sich die Leimer mittlerweile dank der neuen Bedrohung durch den Senat zu immer neuen Bündnissen zusammenschließen und über neue Strategien zur Rettung ihres Gewerbes nachdenken, überlegt ein Arbeitskreis des Senats unter Federführung der Baubehörde sogar, ein Drittel der wilden Plakatierflächen zu legalisieren. Gerhardt-Gade ist bestürzt, denn ob dafür der Rest der Stadt „sauber“bleibt, wagt er zu bezweifeln.

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