: Faustschlag ins Gesicht der Demokratie
■ betr.: „Castor im Trockenen“, „Bayern prangert Polizeikonzept als zu lasch an“, taz vom 6. 3. 97
Bravo, der Castor ist am Ziel. Unmißverständlich wurde gezeigt, wer „in diesem unserem Lande“ das Sagen hat. Gemäß dem Leitspruch „wir sind das Volk“ konnten sich die Atomlobby, zahlreiche Volksvertreter in Amt und Würden und die anderen „willfährigen Helfer“ erfolgreich gegen das demoskopisch ermittelte 80-Prozent- Restvolk durchsetzen. In völliger Fehleinschätzung unserer demokratischen Verhältnisse gehen immer mehr Bürgerinnen und Bürger statt zur parteienfinanzierenden Wahl lieber auf die Straße: Der Mob begehrt auf! Wem die Verhältnisse hier nicht passen, der soll doch nach drüben gehen – oder in eine Partei eintreten. Nur dort werden schließlich Demokratie und „Realpolitik“ gemacht und nicht auf irgendwelchen Straßen von irgendwelchen Leuten! Ließen die politischen und wirtschaftlichen Eliten solche Unsitten einfach durchgehen, käme das gemeine Volk auch bei anderen Themen möglicherweise darauf, seine Interessen im Zweifelsfall kollektiv selbst zu vertreten, wenn es sich nicht mehr vertreten fühlt! [...]
Die eigentlichen Helden in Gorleben waren mal wieder die gewaltbereiten Autonomen, wofür ihnen mindestens das Bundesverdienstkreuz verliehen werden sollte. Beinahe wäre der ganze Protest zu einem friedlichen, äußerst werbewirksamen Happening mit fatalem Nachahmeffekt ausgeartet, und selbst einige Polizisten und zahlreiche Lokalpolitiker bekamen Zweifel an dem Sinn der Castor-Mission. Wohlwollend staatstragend erbarmte sich dann aber das winzige Häufchen der Chaoten und gab den entscheidenden Impuls zum gewohnten Showdown, dem Generalangriff mit Knüppeln und Wasserwerfern. Nur so konnte verlorenes Vertrauen draußen beim Fernsehvolk und den Protagonisten diverser Risikotechnologien zurückgewonnen werden. Und diese Bilder könnten sich auch noch stabilisierend auf diverse „kritische Dialoge“ mit unseren Geschäftspartnern im Iran, in China, der Türkei oder Birma auswirken. Signalisieren sie doch eine gewisse Lernbereitschaft und das Bemühen um eine bilaterale Annäherung der gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse: global denken, lokal handeln.
Einigen unserer Politiker ist das jedoch zuwenig. „Die können auch anders“, mag zum Beispiel Bayerns Hardcore-Fraktion im Hinblick auf diese Länder der unbegrenzten Möglichkeiten wehmütig denken und daher „unser“ Polizeikonzept als zu lasch anprangern. Doch ist es nie zu spät, auch mal andere Mittel und Wege auszuprobieren, wenn es gilt, das Volk zu „überzeugen“. [...] Bernd Höppner, Freiburg
[...] Man sucht weltweit angestrengt nach Endlagern und lenkt dabei von der eigentlichen Problematik, nämlich deren Nichtexistenz, ab. Hätten Menschen der Eiszeit Kernkraftwerke gebaut, müßten wir noch heute auf deren Hinterlassenschaft aufpassen. Es gibt keine Endlagerstätte, deren Entwicklung man über diesen Zeitraum ansatzweise abschätzen könnte.
Dieses „Nach uns die Sintflut“- Prinzip, das sich in der Weltwirtschaft widerspiegelt und in der Atomwirtschaft besonders hervortritt, muß gestoppt werden. [...] Daniel Hard, Platten
[...] Eine Bundesregierung, die den Widerstand gegen die Atomkraft mit Gewalt niederknüppelt, handelt zutiefst undemokratisch und blockiert eine zukunftsfähige Energiepolitik. Wir brauchen eine Richtungsentscheidung für eine Energiespar- und Solarenergiewirtschaft. Und zwar schnell. Alexander Dauensteiner,
Schorndorf
[...] Standortdebatte und Castor-Transporte haben sichtlich nur ein Ziel – den Menschen auf seinen Platz als willfähriges Objekt im Kapitalverwertungsprozeß vorzubereiten. Einen Vorteil allerdings hätte es, wenn die Politik in der genannten Weise abdanken würde: Eine Unmenge von Politikerdiäten (und damit Steuergelder) könnten eingespart werden und Atommülltransporte müßten endlich von denen bezahlt werden, die sie verursachen – den Profiteuren der Atomindustrie. Wem dieses Szenario nicht ganz behagt, müßte sich wohl oder übel Gedanken über das Primat der Ökonomie und die Rolle der Politik in unserem demokratischen Rechtsstaat machen. Andreas Klärner, Darmstadt
In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch demonstrierten Tausende friedfertige Atomkraftgegner mit einer Sitzblockade für die Beendigung der Castor-Transporte ins Wendland. Bei der Räumung der Blockade in Dannenberg kam es zu erheblichen Gewaltanwendungen seitens der Staatsdiener, so daß hier nicht mehr die Rede von einem Einsatz der Polizei sein kann, sondern von einer Truppe uniformierter Berliner Schläger, die unabhängig davon, ob Kinder, Jugendliche oder 60jährige Frauen und Männer, Tritte und Schläge in Unterleib und Gesicht verteilten.
Daß dieses Vorgehen politisch gewollt war, um den Castor-Transport an nur einem Tag durchzuknüppeln, sollte jedem klar sein. So werden viele der friedlich demonstrierenden Castor-Gegner wenn nicht Knochbrüche und Augenverletzungen, so doch wenigstens Prellungen, Schürfwunden und, wenig vorteilhaft für das Ansehen unserer Ordnungshüter, die Erinnerung an eine prügelnde Polizeihorde mit nach Hause nehmen. Thomas Ehlert, Essen
Durch das rabiate Vorgehen gegen die absolut friedliche Sitzblockade an der Castor-Verladestation bei Dannenberg ist das Grundvertrauen der betroffenen BürgerInnen zu ihrem Staat im wahrsten Sinne des Wortes mit Füßen getreten worden.
Ohne es selbst erlebt zu haben, hätte ich nie geglaubt, daß deutsche Polizisten systematisch und mit Billigung ihrer Vorgesetzten auf wehrlos am Boden sitzende Menschen einschlagen könnten, die ohne Widerstand bereit gewesen wären, sich von der Straße tragen zu lassen. Die Behauptung des niedersächsischen Innenministers, die an Zahl deutlich überlegenen Beamten seien dazu zu „erschöpft“ gewesen (FAZ, 7. 3. 97), kann diese unverhältnismäßige Brutalität keinesfalls entschuldigen. [...]
Nicht der Polizei, sondern nur den besonnenen Sprechern der Bürgerinitiative und der festen Entschlossenheit der Demonstranten, Gewalt nicht mit Gegengewalt zu beantworten, ist es zu verdanken, daß es bei Dannenberg nicht zur Eskalation gekommen ist. Für die verantwortlichen Politiker könnte sich der erfolgreiche Castor-Transport zu einem moralischen Super-GAU entwickeln, für die Demokratie war es in jedem Fall ein großer Sieg. Götz Frömming, Berlin
[...] Es darf nicht sein, daß die Bundesregierung politische Probleme mit polizeilichen Mitteln löst. Es war eine Bankrotterklärung von Manfred Kanther, Angela Merkel und Helmut Kohl und ein Schlag mit der Faust in das Gesicht der Demokratie. Thomas Günther, Düsseldorf
[...] Wichtig ist, daß trotz alledem wir die moralischen Sieger sind.
Nur die Bereitschaft zum Ausstieg aus der Atomenergie kann zum Energiekonsens führen. Wir sind nicht nur für die nächsten 10 oder 100 Jahre verantwortlich, sondern müssen durch verantwortungsbewußtes Handeln das Leben zukünftiger Generationen sichern. Angela Viering, BUNDjugend,
Haldensleben
[...] Wenn alte Menschen, Männer, Frauen und Jugendliche, die sich an dieser Blockade beteiligten, da sie gewaltfrei gestaltet wurde, von der Staatsmacht weggeknüppelt werden, von Wasserwerfern unter hohem Druck von der Straße gespült werden, erkennt mensch doch sofort, wer im Unrecht ist, wer die Gewalttäter sind. [...] Frederik Linstaedt, Rätzlingen
Wenn nun, nachdem das Castor-Sixpack in das Zwischenlager bei Gorleben geprügelt wurde, die Sozialdemokraten und die Grünen das oftmals gewaltsame und brutale Vorgehen der Polizei kritisieren, mögen sie daran denken, daß ein Großteil der Polizistinnen und Polizisten aus den rot-grün regierten Ländern NRW, Sachsen-Anhalt, Hessen und Schleswig-Holstein von ihnen selbst zu uns geschickt wurden.
Als besonders brutal hat sich die Polizei aus Sachsen-Anhalt hervorgetan. Diese BeamtInnen haben mehrfach ohne besonderen Grund mit Tränengas und Knüppel völlig gewaltfreie DemonstrantInnen traktiert. Carsten Rosche, Lüchow
[...] Die Mehrheit der Deutschen wünscht den endgültigen Abschied von der Atomindustrie. Anstatt diese gesellschaftliche Dimension des Castor-Widerstandes zu erfassen wurde von seiten der Politik geschickt die „Gewaltfrage“ in den Vordergrund gestellt. Gerade die hat sich jedoch als regulierbar erwiesen: daß Autonome mit allen Mitteln gegen die Polizei vorgehen, ist bekannt; als Racheakt für die Blockade zerstörte Traktorreifen, Wasserwerfer- und Schlagstockeinsätze gegen friedliche Atomkraftgegner mit Hunderten von Verletzten zeigen allenfalls die Lächerlichkeit der im Vorfeld so viel strapazierten Begriffe „Rechtsstaat“ und „Verhältnismäßigkeit auf.
Notwendig wäre nun eine politische Auseinandersetzung, die sich nicht an der Form des Widerstandes festbeißt, sondern nach seinen Motiven fragt. Notwendig wären Politiker, die sich darauf besinnen, daß sie als „Volksvertreter“ nicht das kleine Völkchen der Atomindustriellen vertreten, sondern daß sie vielmehr als Repräsentanten der Bürger dieses Landes gewählt wurden. In dieser Regierung werden wir sie nicht finden. Frank Heublein, Göttingen
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