: Schloß bleibt Schloß
■ Das traditionsreiche Internat in Plön wird nicht verkauft / Vor 25 Jahren drohte schon einmal die Schließung der ehemaligen Kadettenanstalt Von Fritz Gleiß
Rumms. Das Licht geht an, 25 Achtklässler räkeln sich im Schlafanzug, Bett an Bett, kein Nachtschrank, nichts Eigenes dazwischen. Mein Bett steht kopf. Irgendwer hat mich gekippt. Schlaftrunken krabbel ich hinter dem Gestell hervor und bau es wieder auf. Wut und Ohnmacht treiben mir Tränen ins Gesicht. Keiner will's gewesen sein. Der Schlafsaaldienst, ein älterer Schüler, schimpft kurz in den Raum. Zwei Minuten später herrscht wieder Ruhe.
Solche Szenen wird es auf Schloß Plön wohl noch länger geben, nur daß die Schlafsäle heute kleiner sind. Jungen, die zu nächtlicher Stunde bei den Mädchen erwischt werden, Diebstähle, Kloppereien, Rausschmisse: All das bleibt der Kleinstadt in der Holsteinischen Schweiz erhalten. Das Plöner Schloß samt Internat wird nicht verkauft. Es findet sich kein Abnehmer. Das Land wird weiterhin pro Jahr rund anderthalb Millionen Mark in sein einziges staatliches Internat stecken müssen. Aber nun soll kräftig gespart werden. Statt vormals drei wird es bald nur noch ein Wohnhaus geben, Schluß mit dem Extra-Heim für Mädchen. Alle Kids ins Schloß. Dort wurde die traditionsreiche Anstalt vor 127 Jahren für preußische Kadetten gegründet. Unterm Faschismus dann führende Erziehungsanstalt der Nazis, bis heute billigstes Haus im Norden: Fünf Jahre hab ich hier gelebt, hochthronend über Stadt und See.
Fast hätte es mit der Schließung dieses Mal geklappt. Ausgelobt hatte das Land ein riesiges Parkgrundstück am Großen Plöner See mit Dutzenden von Gebäuden, Schwimmhalle, Rokokopalais und eben diesem Schloß. Hätte sich ein Käufer gefunden, wäre Schleswig-Holstein nicht nur Kosten, sondern auch eine pädagogische Institution los, von der es sich schon vor 25 Jahren hätte trennen können. Damals aber sträubte sich die CDU-Regierung.
Als die Primaner Rechte verlangten
1969 hatten einige politisierte Primaner Schulleiter Erwin Schmidt derart in Rage gebracht, daß er 15 von ihnen überstürzt von Internat und Schule wies. Für die restlichen Schüler erließ der Direktor, seit 1946 im Amt und schon unter den Nazis Schulleiter in Ostpreußen, „10 Gebote“, eine Art Verhaltenskodex für gute Internatler. Darin verbot er „anstößige“ Kleidung, zum Beispiel Miniröcke, und verlangte von jedem älteren Schüler, „Verantwortung“, sprich Kontrolldienste zu übernehmen. Die SPD-Opposition warf Schmidt daraufhin „Nötigung im Amt“ vor, erzwang einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß und stellte die Schließung des Internats in Aussicht.
Was die geschaßten Primaner und ihre Freunde forderten, klang so haarsträubend nicht: Freie Wahl der Haar- und Hosenmode, Teilnahme an den Lehrerkonferenzen, gemeinschaftliche Sexualerziehung, Lockerung der Ausgehzeiten und engere Kontakte zwischen Schloß und Stadt. Aus Pflichten, von denen es im Internat bis heute reichlich gibt, begannen sie, auch Rechte abzuleiten. Schmidts höchste Tugenden, Pflicht-Opfer-Leistung, gerieten – endlich! – in Gefahr.
Die Primaner verweigerten sich zudem dem elitären Korpsgeist des Hauses. Zwar verschlug es nur noch selten uradelige Töchter derer von Hardenberg oder Grafensöhne Lambsdorffscher Größe aufs Plöner Schloß, aber verschlossen gegenüber dem Kleinstadtleben rundherum war das Hohe Haus seit eh und je. Erst in den Neunzigern beginnt sich das zu ändern.
Als der Untersuchungsausschuß 1971 sein Ergebnis vorlegte, war Schmidt frühpensioniert. Dafür war ich jetzt Internatler und las „Die Grüne Wolke“ von A.S. Neill. Summerhills Ideen allerdings fanden in Plön nie Widerhall. Viele Einrichtungen aus der Zeit von Schmidt überlebten. Zum Beispiel die Internatsfeuerwehr, von älteren Kameraden straff geführt, in der jeder Junge ein Jahr abzudienen hatte. Wie hab ich sie gehaßt! Diese Welt der militärischen Befehle, noch dazu so überflüssig. Im Ernstfall hätten wir Pimpfe ohnehin nichts anfassen dürfen.
Auf der Stube hat wie eh und je der Stubenälteste das Sagen, nur daß er heute Stubi heißt. Unordnung im Schrank? Ein Tritt des Nikolaus von L., und meine Schrankbretter liegen mit aller Wäsche auf dem Boden. Eine Minute zu spät zur Arbeitsstunde? Macht einmal extra Tischdienst, danke Niko. Erwischt beim Bettenkippen? Gibt einen Tag Pförtnerdienst, acht Stunden lang im zugigen Kabuff den Laufburschen fürs ganze Haus spielen. Tage ohne Strafe versprachen vier Stunden freie Zeit. Daran hat sich bis heute nicht viel geändert.
Vier Minis auf einen Stubi, kaum ein Moment mal ohne Obacht, Intimsphäre Fehlanzeige, allein mit Heimweh, Kummer, Lustgefühlen war ich nur auf dem Klo. Fünf Stuben bilden den Bereich, noch ein Wort aus der Kadettenzeit: Ersatz für alles Familiäre. Das eherne Prinzip: je älter, desto mächtiger, je angepaßter, desto privilegierter. Mehr als ein Jahr verstrich, bevor ich das begriff.
Kurz vor elf kommt angesäuselt der letzte Schüler aus dem „Stall“, einer Kneipe in der Stadt. Mit Schlüssel und Verlängerung, dem begehrtesten der vielen Köder für willfährige Schüler. Täglich nach dem Abendessen für ein, zwei Stunden in den „Stall“ war schon mit vierzehn Pflichtprogramm, Bier, Kippen und „Persiko“ dazu. Internatler kommen früher an den Punkt, an dem Verbote nur noch kitzeln.
Wer heute fliegt, darf auf der Schule bleiben
Verlängerung gab es irgendwann für mich nicht mehr, ich wollte zuviel anderes. Bei meinem Rausschmiß wenig später profitierte ich jedoch nochmal von der Revolte 1969: Wer vom Internat flog, durfte jetzt wenigstens auf der Schule bleiben. Seither genießen Verwiesene sturmfreie Bude, angemietet in der Stadt. Trotzig wurde ich dann doch noch das, wozu es auf dem Internat nicht reichte: Schülersprecher. Vielleicht wird ja irgendwann noch mehr aus mir. Dann kauf ich mir den Schuppen. Nur ohne Feuerwehr. Die ist tatsächlich seit drei Jahren abgeschafft.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen