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Literatur und Leben

■ Fanny Müller:

Wenn viele Autoren davor zurückschrecken, Geschichten aus dem richtigen Leben zu schreiben, dann liegt das nicht daran, daß sie nie was mitkriegen, sondern daran, daß bekanntermaßen das Leben Geschichten schreibt, die zu absurd sind, als daß sie einem abgekauft werden.

Ich denke da an meine Schulfreundin Sonja, deren große Schwester kurz vor dem Abitur mit unserem Pastor durchbrannte, der verheiratet war und vier Kinder hatte. Und wir uns daraufhin ernsthaft fragten, ob unsere Konfirmation jetzt noch gültig wäre.

Oder nehmen wir nur mal meinen alten Bekannten Hans-Walter Wiedemeyer, der jahrelang mit seiner verwitweten Mutter zusammenwohnte, und nachher stellte sich heraus, daß sie in Wirklichkeit sein Vater war.

Das glaubt einem doch kein Mensch. Und dann meine älteste Nichte Mine, 19 Jahre alt, eine Pest, wenn sie sauer u n d müde ist. Die hat letztes Jahr auf einer Interrail-Fahrt von Athen nach Prag eine jugoslawische Zugräuber-Bande von zirka 15 Mann nachts bei der Arbeit überrascht und derartig terrorisiert, bis die ihr mehrere Rucksäcke zur Auswahl anboten. Sie griff sich ihren, zog sich ins Abteil zurück und setzte ihre unterbrochene Nachtruhe fort. Ohne im übrigen auch nur entfernt auf die Idee zu kommen, irgend jemandem Bescheid zu sagen.

Oder neulich in Neuseeland. Ich hatte meiner Tante Hilde brieflich versprochen, trotz der Zeitverschiebung an ihrem Geburtstag anzurufen, wenn die ganze Verwandtschaft am Kaffeetisch sitzt. Nun befand ich mich gerade mitten in der Pampa, hatte aber richtig eine Telefonzelle ausfindig gemacht – nachts um vier – und steckte die Karte ein. Nichts passierte. Kaputt. Ich in die Tankstelle nebenan, wo man mir mitteilte, no problem, die nächste Telefonzelle sei nur 50 km entfernt. Ich könne aber auch den Operator (eine Art Hiwi der Telefongesellschaft) anrufen, das ginge ohne Telefonkarte; vielleicht wüßte der eine Alternative. Gesagt, getan. Und was sagt der Operator? „Don't worry, wir werden das Kind schon schaukeln, geben Sie mal die Nummer Ihrer Kreditkarte durch.“ – Keine zwei Minuten später hatte er mich verbunden.

Ich muß schon sagen, Tante Hilde hat einen ganz schönen Schreck gekriegt, als sie mich über 28.000 km hinweg schluchzen hörte.

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