: Die Leiden eines Lauchgemüses
■ Öfter mal was Neues: Krimilesungen in einem Gemüseladen in Eimsbüttel begeistern Kunden, Gäste und Journalisten
Der italienische Porree in „Fischers Obst-& Gempüseparadies“ hat es nicht leicht. Bloßgestellt in einer Kiste, feilgeboten für 3 Mark 40, fristet er sein Dasein, um irgendwann in einem Eimsbüttler Eintopf zu schmoren. Doch selbst nach Ladenschluß findet das Lauchgemüse seinen Frieden nicht. Eilig drapiert Inhaber Frank Fischer zwei Holzbänke und einige Plastikstühle im Geschäft. Beim ersten Mal im letzten Juli verhieß das für den Lauch nichts Gutes. Eine Lesung des Krimiautors Frank Göhre, zudem Nachbarn und Kunden, mußte er ertragen.
Frühstück bei Marlowe hieß sein Buch – und es war gespickt mit Kochrezepten. Den Nachbarn und zahlreichen Journalisten schien es gefallen zu haben. Über der Eistruhe hat Fischer, der 1986 aus der DDR in den Westen kam, alle Zeitungsartikel aufgepinnt. Das mediale Interesse kann er bis heute nicht verstehen. Er sei nur neugierig geworden, als er erfuhr, daß sich unter seinen Kunden ein Krimiautor befindet. „Wir trafen uns öfter auf ein Bier, und irgendwann hatten wir die Idee zur Gemüseladen-Kultur für Jedermann.“
Als besonderes Schmankerl sollte diesmal der Hamburger Regisseur Bernd Schadewald seinen Lieblingsfilm Schuld war nur der Bossa Nova zeigen. Garantiert lauchfrei, versteht sich. Wieder kam eine Handvoll Nachbarn und ebenso viele Vertreter der Medien in die Sartoriusstraße 31. Schließlich kann man nicht jeden Tag mit dem ZDF-Vorzeigeregisseur in floralem Ambiente fernsehen, um danach über die Probleme der Herstellung eines Filmes aufgeklärt zu werden, der in den 60ern spielt, aber in den 90ern gedreht wurde.
Nur schade, daß Schadewald nicht kam. Er sei in München, um seinen Film Kinder des Satans fertigzustellen, informierte Göhre das Publikum. Fischer spendierte eine Flasche Wein mehr und Göhre bildete den kompetenten Ersatz für Schadewald. Die beiden sind nicht nur eng befreundet, sondern schrieben auch gemeinsam das Drehbuch zu dem Doku-Drama Der Pirat. Eine Hamburger Drogenkarriere, nach einer Recherche von Stefan Aust, die ab Juli gedreht wird.
„Schadewald ist gefragt aber auch gefürchtet“, weiß Göhre zu berichten. Viele Produktionsfirmen lehnen ihn kategorisch ab, da er oft sein Budget, wie bei Kinder des Satans, um bis zu 1 Million Mark überzieht. „Mit Bernd dreht man aus Imagegründen“, so Göhre, „die Aussicht auf einen hohen Gewinn ist gering, dafür die Chance auf den Grimme-Preis um so höher.“
Schuld war nur der Bossa Nova ist der bislang aufwendigste Film, den Schadewald für das ZDF drehte. Mit 2,9 Millionen Mark auch einer der teuersten. Er erzählt die Geschichte vom Erwachsenwerden in den Sechzigern. Als die Autos noch Isetta hießen, statt Gel noch Pomade in den Haaren glänzte und Elvis der Gott am Nierentischhimmel war. Doch zwischen „Tutti Frutti“ und „Let's Twist Again“ schildert Schadewald die Probleme der 17jährigen Heike, die von ihrem Manni geschwängert wurde. Nicht nur Schonkost im Gemüseladen.
Doch zunächst gab es nur die ersten 45 Minuten von Schuld war nur der Bossa Nova. Fortsetzung folgt, dann mit Schadewald, Ende März oder Anfang April zwischen italienischem Porree und französischem Knoblauch in Fischers kulturellem Gemüseparadies.
Michael Quell
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