: Meister des Mittelweges
■ Die nie zu seichten „Lightning Seeds“entzückten im Modernes
Manche definieren populäre Musik darüber, daß sie Eltern an den Rand der Verzweiflung treiben müsse. Diese Schuhe können die „Lightning Seeds“schwerlich füllen. Die mütterliche Reaktion wäre wahrscheinlich: „Ach so. Du gehst mit Ian Broudie von den 'Lightning Seeds' aus. Das geht in Ordnung. Netter Bengel.“Die renommierten Britpopper schreiben eigentlich Songs, die auf Platte reichen und die man nicht unbedingt live hören muß.
Könnte man denken. Da denkt man aber falsch, wie die Band am Freitag im „Modernes“bewies: Das Liverpooler Quintett zeigte sich von seiner besten Seite. Der Live-Sound gewann den vermeintlich simplen Songs unerwartete Nuancen ab. Da war für donnerndes Schlagzeug ebenso Platz wie für charmant-billige Bontempi-Beats, während akustisches Gitarrengeplänkel neben wuchtigen Rock-Riffs stand. Das Erstaunliche daran war, daß in jedem Song beides möglich war. Wie schön es sei, alles „pure and simple“zu halten, besang Broudie in einem frühen Hit. Eigentlich klingen seine konservierten Stücke auch so, aber auf der Bühne erstrahlten sie in ungeahnter Vielfalt. Stemmte sich Git-tarist und Sänger Broudie in ein feistes Solo, war das Lied auch bald vorbei. Kündigte er einen „quiet one“an, mußten die Feuerzeuge im Publikum nicht lange hochgestreckt bleiben, weil die Band nach wenigen Zeilen das Tempo anzog.
Eine Rock-Show war das Set dennoch nicht. Die „Lightning Seeds“gingen immer den Mittelweg, der in diesem Falle tatsächlich golden war. Es wurde viel „uuh lalala“und „badababa“gehaucht, in den harmonischsten Momenten im Wechsel mit der Keyboarderin, dazu eine dezente, aber genau durchdachte Lightshow in Grün und Rot. Musikalisch und optisch galt: Bloß keine Aufregung, aber erst recht keine Langeweile.
Optisch war zudem erstaunlich, wie Einbildung und Vorurteile einem mitunter Streiche spielen. Von den hinteren Plätzen wähnte man Ian Broudie nach wie vor so jungenhaft und schlacksig, wie man ihn seit Jahr und Tag kennt. Kam man nach vorne, bemerkte man plötzlich doch, daß der Herr mit der Knabenstimme runder und älter geworden ist. Irgendwie verstärkte das jedoch noch seinen kumpelhaften Charme, den er trotz Saalgröße, knappen Ansagen und musikalischer Routine massenhaft verströmte.
Andreas Neuenkirchen
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