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Vom Sozialisten zum Sanierer

Der Staatskonzern Renault entläßt europaweit Tausende ohne Vorwarnung – der Konzernchef zeigt, wie die Elite Frankreichs funktioniert  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Louis Schweitzer kommt aus dem Schatten. Zwar wirkt der als zurückhaltend und höflich bekannte 54jährige seit Beginn seiner Karriere an der Spitze der Macht, doch blieb seine Tätigkeit stets diskret. Schweitzer war Kabinettschef eines sozialistischen Premierministers, Sicherheitsberater eines Präsidenten und nun Chef von Frankreichs größtem Autokonzern.

Ende Februar änderte sich Schweitzers Image auf einen Schlag. Das von ihm geführte Renault-Management kündigte eine Fabrikschließung im belgischen Vilvoorde bei Brüssel (3.100 Entlassungen) und 2.700 Entlassungen plus über 1.000 Rückstufungen in Frankreich an. Beides für dieses Jahr. Beides ohne die geringste Vorwarnung. Und beides verbunden mit der Ankündigung, die Sanierung des Konzerns werde auch danach weitergehen.

Für die einen mutierte Schweitzer mit dem Kahlschlag zum bestgehaßten Europäer: Belgische, französische und spanische Arbeiter nutzten die Gelegenheit zu plakativen Aktionen: zum ersten europaweiten Streik und – gestern nachmittag – zu einer gesamteuropäischen Demonstration in den Straßen von Brüssel, an denen die komplette Spitze der belgischen und französischen Gewerkschaften und linken Parteien sowie Delegationen aus Spanien, Slowenien und Deutschland teilnahmen. Für die anderen ist Schweitzer zum Vorbild und interessanten Testfall für die weitere Rationalisierung der europäischen Autoindustrie geworden.

Schweitzers Rezept heißt „Downsizing“. Je kleiner die Belegschaft und je niedriger die Produktionskosten, desto größer ist nach seiner Logik die Überlebenschance. Der im Lkw- und Pkw-Bau aktive Konzern Renault hat so binnen zehn Jahren seine Belegschaft in der Autoproduktion von 100.000 auf 60.000 reduziert. Gleichzeitig hat er wachsende Teile der Produktion „ausgelagert“. Im nächsten Schritt – und davon ist die Vilvoorde-Schließung der Anfang – will Renault die Zahl seiner Produktionsstätten reduzieren, was selbstverständlich von einem weiteren „Abbau“ der heute noch 140.000 Personen starken Belegschaft begleitet sein soll.

Begründet wird jedes neue „Downsizing“ mit den Ergebnissen des Konzerns. Seit 1995 schreibt Renault rote Zahlen. Schon in den Jahren davor gingen die Ergebnisse im Automobilgeschäft kontinuierlich zurück. Das nächste Sparargument kündigt sich für kommende Woche an, wenn Renault seine neuesten Zahlen bekanntgibt: Verluste von 4 Milliarden Franc (1,2 Milliarden Mark) werden erwartet.

Sein Handwerk hat Schweitzer an der „École Nationale d'Administration“ (ENA) in Straßburg gelernt, der Schule, die Frankreichs Elite produziert – vom Staatspräsidenten über den Premierminister und die meisten Mitglieder des Regierungskabinetts bis hin zu den Kapitänen der größten französischen Unternehmen des Landes. Die „Enarchen“ beherrschen dieselben Führungstechniken – ganz egal ob sie politisch eher links oder eher rechts stehen.

Schweitzer kam gleich nach seinem ENA-Abschluß unter die Fittiche eines anderen Enarchen, des sozialistischen Premierministers Laurent Fabius. Er war Kabinettschef des Premierministers, als Tausende von Blutern mit Aids infiziert wurden, als das Greenpeace- Boot „Rainbow Warrior“ im neuseeländischen Auckland vom französischen Geheimdienst gesprengt wurde und als die sozialistische Regierung die Maastrichter Verträge vorbereitete. 1986 schickte ihn die Regierung in die Finanzspitze von Renault, 1992 wurde Schweitzer dort Chef. In den frühen 80er Jahren hatte die sozialistische Regierung die Verstaatlichung der Industrie propagiert. Als Renault-Chef organisierte Schweitzer später die Privatisierung des Konzerns, der heute nur noch zu 46 Prozent dem Staat gehört. Die sozialistische Regierung hatte ein „soziales Minimum“ für die Maastrichter Verträge durchgesetzt. Chef Schweitzer dachte gar nicht daran, gemäß der europäischen Richtlinie die Belegschaft über die Massenkündigungen zu informieren.

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