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Mit DIN-Vorschrift gegen Staubschleudern

■ Klimaanlagen verdoppeln die Beschwerden über dicke Luft am Arbeitsplatz. Weil die Filter bisher nachlässig gewartet werden, kommen bald strenge Auflagen

Berlin (taz) – Die Deutschen sind sauber, die Deutschen regeln alles. Diese Vorurteile stimmen auch bei Klimaanlagen bislang nicht. Jede fünfte Anlage, die der Ingenieur Martin Möritz vom Berliner Institut für Hygiene untersucht, ist schlecht oder gar nicht gewartet: In den Kanälen klebt zwanzig Jahre alter Staub, in Luftbefeuchtungsbecken tummeln sich Keime, in den Filtern klaffen faustgroße Löcher. „Dabei werden uns richtig schlecht gepflegte Anlagen kaum gezeigt“, erzählt Möritz. Er ist sich sicher, daß die Dunkelziffer hoch ist.

Die Folge: dicke Luft im Büro. In einem guten Drittel aller klimatisierten Räume, so ermittelte eine Arbeitsgruppe des Vereins Deutscher Ingenieure, klagen Beschäftigte über häufige Erkältungen, Kopfweh, trockene Schleimhäute, Rheuma oder Müdigkeit. Beschwerden, die auch ohne Klimaanlage immer wieder auftreten. Deshalb bleibt klagen über die Klimatisierung meist fruchtlos. Doch Studien beweisen: Dort, wo die Luft durch Gebläse düst, leiden bis zu doppelt so viele Angestellte an diesen Beschwerden.

Auch den Unternehmern würde ein gutes Arbeitsklima nützen. Verbesserungen an der Lüftung können die Produktivität der Angestellten um bis zu 16 Prozent steigern, zeigen amerikanische Studien. Einen Gefallen täten sie der Belegschaft allemal. Allein in den alten Bundesländern arbeiten nach Schätzungen rund drei Millionen Menschen in klimatisierten Räumen. Bisher gibt es in Deutschland und auch weltweit keine Hygienevorschriften für Klimaanlagen.

Der VDI wollte das ändern und brachte Anfang März nach dreijähriger Ausschußarbeit eine neue Richtlinie, DIN 6022, heraus. „Das war überfällig“, sagt Henning Rüden, Direktor des Hygieneinstituts der Freien Universität Berlin. Die Norm regelt, wie oft die Filter gewechselt werden müssen, wie der Befeuchter keimfrei bleibt, wo die Luft angesogen wird und wie eine Anlage hygienisch gebaut werden kann.

Bisher mangelt es an Sensibilität für das Thema. Vielerorts warten keine Klimatechniker, sondern Hausmeister die Anlagen. Filter werden erst getauscht, wenn keine Luft mehr durchgeht. „Die lassen sich da oft eine Luxusklimaanlage hinstellen“, spottet Rüden, „und warten sie dann mit dem Schraubenzieher.“ Doch die DIN 6022 ist nur eine Empfehlung. „Angesichts der Wirtschaftslage“, fürchtet VDI-Ausschußmitglied Möritz, „wird da eher noch mehr gespart.“ Dabei können schon kleinere Nachlässigkeiten große Folgen haben. Die Achillesferse der Klimatisierung sind die Luftfilter: Sie sind nur solange der Garant guter Luft, solange sie regelmäßig gewechselt werden. Bleiben sie zu lange in der Anlage, beginnen die zurückgehaltenen Keime und Schimmelpilze auf dem Filter, in winzige Partikel zu zerfallen, die der Filter nicht mehr zurückhalten kann. „Das kann bei 10 bis 30 Prozent aller Personen zu allergischen Reaktionen führen“, warnt der Mediziner Peter Kröling von der Universtät München. Beim Zerfall entstehen etwa Endotoxine, die auch bei Nichtallergikern Fieber und Unwohlsein verursachen können, sowie unangenehme Geruchsstoffe.

Bei schlecht gewarteten Anlagen sammeln sich bis zu zehnmal mehr Partikel in der Luft als normal, die Filter werden zu Staubschleudern. Zum Glück werden Keime selbst in der Regel zuverlässig zurückgehalten – Ansteckungen über die Klimaanlage sind die seltene Ausnahme.

Weltweit ist das Interesses an der deutschen Richtlinie groß. Noch aber ist DIN 6022 in der Entwurfsfassung. Bis September können Einsprüche vorgebracht werden, die Endfassung soll Anfang 1998 fertig sein. Die Richtlinie ist freiwillig. „Wenn wir damit nach zwei Jahren nicht weitergekommen sind“, sagt der Hygieniker Rüden, „wird eine Verordnung fällig.“ Dann stimmt das Vorurteil zu sauberen Deutschen auch bei Klimaanlagen. Matthias Urbach

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