: Orchestrale Spielwiese
■ Die Junge Deutsche Philharmonie gastiert in der Musikhalle und mit einem Werkstattkonzert in der Fabrik
„Für mich, der ich meine ersten beruflichen Erfahrungen noch in einer Zeit machte, in der der Arbeitsalltag eines Dirigenten ganz von den Auseinandersetzungen und Widersprüchen unverzichtbarer künstlerischer Forderungen und einer verbeamteten Absicherungsmentalität geprägt war, bedeutete das Auftauchen der Jungen Deutschen Philharmonie den Wendepunkt.“Was Lothar Zagrosek 1994 zum 20. Geburtstag des stürmischen Studentenorchesters aussprach, war ein Hoffnungsschrei im drögen Alltag deutscher Kulturorchester.
Zagrosek ist erster Gastdirigent und künsterlischer Berater der Jungen Deutschen Philharmonie, dem Abenteuerspielplatz des deutschen Orchesternachwuchses. Hier wird geprobt, gestritten, experimentiert und der Liebe zur Musik gefrönt. Der Geist der Rotation – jährlich wechselt eine bestimmte Anzahl von Musikern – gibt dem Orchester einen etwas virtuellen Charakter: Kaum war es da, ist es schon wieder weg. Jedes Jahr klingt es anders.
Wie sehr Zagrosek von dieser erfrischenden Arbeitsweise profitieren konnte, dürfte die monströse und kräfteverschleißende, gleichwohl sensationelle Resultate zeitigende Probenarbeit für Lachenmans Oper Das Mädchen mit den Schwefelhölzern bewiesen haben. Ein gußeisern auf den mechanischen Staatsbetrieb eingeschworenes Beamtenensemble zu extremen Musizierleistungen zu überreden, ist nun mal ein kleines Wunder.
Wie so ein Wunder in natura geschieht, kann in dem Werkstattkonzert der Altonaer Fabrik nachempfunden werden. 1986 leitete hier Gary Bertini ein Mahler-Programm der Jungen Deutschen Philharmonie. Mit einer Wiener Melange bestehend aus Bergs Lulu-Suite, Madernas gleißendem Orchesterstück Aura und Mozarts Konzertarie KV 416 (in der Musikhalle gibt es außerdem Beethovens 8. Sinfonie) wird nun an diese fast vergessene Tradition der direkten Nähe zum Publikum wieder angeknüpft.
Spannend ist vor allem die Verwandtschaft von Bergs hinreißend sinnlicher Moderne und Madernas nicht weniger ansprechender Musik, die aber strikter, dichter, körperhafter wirkt. Madernas Aura schimmert wie ein Nachecho auf Bergs tragisch aufgeladene Bühnenmusik (mit der Idealstimme Claudia Barainsky). Was es nun genau mit diesen klingenden Geheimnissen auf sich hat, verrät Lothar Zagrosek vor Ort in der Fabrik. Sven Ahnert
heute, 21 Uhr, Fabrik; morgen, 20 Uhr, Musikhalle
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