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Vorhandene sinnvolle Trends legitimiert

■ betr.: „Unterm Strich“ (Recht schreibreform), taz vom 11. 3. 97

Ich versteh' es nicht. Warum regen sich so viele darüber auf? Ein einziges Mal bringt diese Regierung etwas zustande, das weder die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer macht noch die Menschenrechte verletzt, nämlich die Rechtschreibreform. Die neue Rechtschreibreform bietet sogar etwas außerordentlich Schätzenswertes. Sie mehrt unsere Entscheidungsfreiheit auf wohldosierte Weise. Bisher hatten wir zwei Möglichkeiten: richtig oder falsch. Jetzt sind es gelegentlich drei: richtig oder richtig oder falsch.

Normalsterbliche, und dazu gehören auch die JournalistInnen und SchriftstellerInnen, brauchen sich überhaupt nicht um die Rechtschreibreform kümmern. Es möge doch bitte jeder und jede so schreiben wie immer, ob richtig oder falsch oder neuerdings auch richtig. Mich frustriert es ungeheuer, daß gerade Literaten, die ich für kluge und freiheitsliebende Menschen gehalten habe, gegen ein bißschen mehr Freiheit und für traditionalistische Dünkel plädieren.

Die Rechtschreibreform soll eine Erleichterung für die Kinder sein, die jetzt schreiben lernen. Eigentlich sollten sie alleine entscheiden, ob sie ein paar Widersprüchlichkeiten und Ausnahmen weniger oder mehr lernen wollen. Niemand wird ernsthaft behaupten wollen, daß diese Kinder später Texte nach alter Rechtschreibung nicht mehr flüssig lesen können. Ich plage mich mit Texten in Frakturschrift wesentlich härter, und trotzdem lese ich sie, wenn es mich interessiert.

Außer den Kindern haben nur zwei Personengruppen mit der neuen Rechtschreibung zu tun: Verwaltungsbeamte und Lehrkräfte. Die Texte der Verwaltungsbeamten werden bestimmt nicht schlechter lesbar durch die neue Rechtschreibung. Das ist gar nicht mehr möglich, weil sie durch ihren Stil schon unlesbar sind.

Ich gehöre zu den Lehrkräften. Als Deutschlehrerin schreibe ich seit einem halben Jahr nach der neuen Rechtschreibung. Meine Finger leiden keineswegs darunter, wenn sie ein „dass“ statt „daß“ schreiben, und ich genieße die Freiheit, einen Infinitiv mit „zu“ durch Komma abzutrennen, obwohl es nicht zwingend vorgeschrieben ist. Und viel mehr gibt es auch nicht zu berichten, weil sich tatsächlich herzlich wenig geändert hat.

Übrigens: Die Duden-Redaktion hat in jede überarbeitete Neuauflage Veränderungen im Sprachgebrauch, die sie beobachtet hat, aufgenommen. Nichts anderes macht die Rechtschreibreform, die vorhandene sinnvolle Trends legitimiert. Rosemarie Steger, Amberg

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