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Das Erzittern des Erdtelefons in Öl

■ Andreas Ohlendorff zeigt seine „spirituellen Bilderwelten“auf St. Pauli

Der 16. Juni 1990 war der Tag, an dem sich der Engel zum ersten Mal offenbarte. Unschön erschien er dem damals 32jährigen Andreas Ohlendorff in Form eines irdischen Ganzkörperkrampfes.

Heute sitzt der Künstler ganz entspannt bei Pfefferminztee und dick qualmender Tüte und denkt dankbar an die damalige Erfahrung zurück. Hat sie ihn doch gleich zweifach, vom zerstörerischen Alkohol und von den bürgerlichen Zwängen, befreit. Seit besagtem Tag nämlich galoppiert der ehemalige Davidwachen-Polizist, Weltenbummler, Kurier, Fabrikarbeiter „auf dem Pferd der Freiheit“durch „das Abenteuer Leben“und malt und redet in ebendiesen Bildern und manchmal unverständlichen Assoziationen. Und so formuliert er stirnrunzelnd und sinnierend in die Ferne blickend seine künstlerische Berufung mit Sätzen wie: Er wolle „die Absurdität des Normalen unmaskiert zeigen“oder „die Spiritualität in der Bilderwelt finden“. Und wenn sein Gegenüber ihn nicht so ganz versteht, dann nimmt er noch einen genüßlichen Zug aus seiner Tüte und sucht und findet unermüdlich andere Metaphern, die ihn als „den Katalysator seiner Bilder“erklären könnten.

Ohlendorff malt in Öl und mit photorealistischer Eindringlichkeit. Und malt alles, was sich ihm aufdrängt, was ihn bewegt – und das ist ziemlich viel: angefangen mit den großen Porträts seiner verstorbenen Rockidole, über verfremdete Gesichter und ängstlich-sehnsuchtsvolle Körper, bis zu Regenschirmmenschen, die kopfüber vom Himmel auf die Erde zurasen, ängstlich beobachtet von Chaplins Charlie und einer indianischen Totenmaske. Oder das zitternde Erdtelefons, das, vom Anruf erschreckt, seine Wählscheibe zerfließen läßt.

Aber das ist noch nicht alles: Ein bisher nicht erwähntes, aber stetes Handlungsmotiv in Ohlendorffs Leben ist „der fight gegen die Ungerechtigkeit“. Das war damals auch Grund zur Polizei zu gehen und sie dann zu verlassen. Und ist heute der Grund, warum dem kleinen Städtchen Winsen an der Luhe unwohl wird, wenn es an den hier wohnenden Ohlendorff denkt. Der mischt hier nämlich mit seinem künstlerisch-politischen Engagement ziemlich auf: 1993 mit einer gemalten politischen Mahnung gegen Intoleranz und Faschismus im heutigen Deutschland, die als Leihgabe für's Rathaus zum lokalen Statement werden sollte.

Der Einzug ins Rathaus wurde dem symbolischen Werk verwehrt, statt dessen wurde es zum in der Lokalpresse vielbedachten und von rechtsradikalen Hetzplakaten begleiteten Skandal. Bevor sich das Städtchen von dieser Aufregung hatte beruhigen können, gab's ein Jahr später schon wieder eine ohlendorffsche Irritation. Diesmal in Form einer suspekten Skulptur, die in einer spontanen Aktion des Künstlers den Winsener Marktplatz schmücken sollte: Ein überdimensionaler elektrischer Widerstand – zum Gedenken an den 50. Jahrestag des Attentats auf Hitler.

Seit sieben Jahren nun steht Ohlendorff für seine Überzeugungen und glaubt an sich und seine Assoziationen, genau wie an seinen Engel, seine Neon-Glücksbänder am Handgelenk und seinen Himalya-Türkis am Hals. Und das mit einer solchen Hartnäckigkeit und ganz eigenen Bestimmtheit, die ihn so sympathisch und glaubhaft macht – und seine Bilder immer erfolgreicher.

Ben Grudda, Compagnon und Manager in Personalunion, steht ihm seit einiger Zeit zur Seite. Zusammen mit ihm hat Ohlendorff beschlossen, jetzt „voll durchzustarten“. Nach der Ahnengalerie, einer Ausstellung der Porträts großer Rocklegenden im Hotel Hafen Hamburg, wird nun eine Auswahl der Bilder in der „Weiten Welt“ausgestellt. Das ist zwar erstmal nur ein Restaurant auf St. Pauli, aber für Ohlendorff ein bestimmt nicht zufälliges Omen für die nahende Zukunft „seiner Ohlen- dorffs“.

Eva Rink

Ausstellung vom 23. März bis 3. Mai, Restaurant „Weite Welt“, Große Freiheit 70

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