piwik no script img

Wo Riff und Raff zu Hause sind

Auf den Niederländischen Antillen tummeln sich Steuerflüchtlinge und Taucher. Während Curaçao vor allem reiche Nichtstuer beherbergt, lockt Bonaire Freunde der Unterwasserwelt  ■ Von Ulla Ackermann

Eigentlich ist Curaçao weniger fürs Tauchen als fürs sogenannte Abtauchen bekannt. Oder sollte man Wegtauchen sagen oder Untertauchen? Jedenfalls hat das, was die allesamt schnieken, weißen Eingebürgerten auf die größte der niederländischen Antilleninseln verschlägt, nichts mit Wasser zu tun, dafür aber mit der hiesigen Steuerfreiheit.

Die smarten Aussteiger mit den dicken Brieftaschen gehören zum Stadtbild vom Willemstad, der winzigen Hauptstadt Curaçaos, wie die Einheimischen, die von Arawak-Indianern und westafrikanischen Sklaven abstammen.

Einer von den reichen Steuerflüchtlingen ist Dr. O. aus Hamburg. Als er mit Frau und drei Kindern vor vier Jahren nach Curaçao kam, hatte er sich nicht vorstellen können, was auf ihn zukommt. Schon am Vormittag winkt er den Kellner des Café Sting an der Breedestraat für seinen fünften oder sechsten Daiquiri heran. Dr. O. wartet darauf, seine Kinder in einer Stunde wieder von der Schule abholen zu können – und das sei genauso langweilig wie alles andere in Willemstad, sagt O. „Ich hatte eben keine Erfahrung mit Nichtstun. In Hamburg habe ich immer eine volle Praxis gehabt. Und hier kann ich allenfalls Blumen züchten.“

So wie er das sagt und wie er so dasitzt und den vorbeifahrenden Straßenkreuzern nachguckt und sie doch nicht sieht, kann der Mann einem beinahe leid tun. Da hat er nun seine Millionen vor Waigel auf die Niederländischen Antillen in Sicherheit gebracht, hat im Stadtteil Pietermaai das ehemalige Wohnhaus eines Verwandten der Stuyvesants gekauft und unter Anleitung (und 60prozentiger Subventionierung) einer holländischen Stiftung für Denkmalschutz originalgetreu instand setzen lassen, hat fünf Einheimische als Hausangestellte verpflichtet, zahlt ihnen sogar mehr als den festgesetzten Mindestlohn – und was hat er nun davon? Er langweilt sich zu Tode und die Familie auch. Warum er nicht wieder ins heimische Land zurückzieht? „Geht nicht“, sagt er knapp. Ach so.

Daß Dr. O mit seinem Problem nicht alleine dasteht, ist offensichtlich. Die feingewandeten und mit edlen Juwelen ausgestatteten Nichtstuer fallen sofort ins Auge, ebenso die Nobelkarossen vor dem Sitz des holländischen Generalgouverneurs und der einheimischen Parlamentsverwaltung. Sie deuten an, daß die Verwaltung von Curaçao und Bonaire, die weitgehend der Königin der Niederlande untersteht, auch nicht mit kleinlichen Budgets kämpfen muß.

Daß reiche Immigranten ihre Vermögen an der heimischen Steuer vorbei auf den Banken ihrer Insel verstecken, stört die Einheimischen nicht, wenngleich sie auch nicht viel davon profitieren. Sorgen macht den ursprünglichen Bewohnern Curaçaos vor allem die immens hohe Arbeitslosigkeit. Denn der Hafen, wo die Waren für den zollfreien Verkauf auf den Inseln ankommen und der wegen seines Tiefgangs Umladeplatz, vornehmlich für Öl, ist, das auf den Riesentankern nicht direkt nach Venezuela gebracht werden kann, unterhält noch nicht einmal ein Zehntel der 150.000 Einwohner der Insel. Auch die Raffinerie, von der gemunkelt wird, daß sie geschlossen werden soll, tut keinen besseren Dienst.

Außer dem bißchen Fischfang bleibt allein der Tagestourismus, denn der ist mit seinen 160.000 Besuchern pro Jahr attraktiv. Die Touristen reisen auf Kreuzfahrtschiffen an, verbringen den Tag in den Läden beim Duty-free-Shopping, besuchen die Destillerie des Curaçao-Likörs und sind am Abend wieder verschwunden. Der Versuch, „richtigen Tourismus“ aufzubauen, der die Touristen die andernorts üblichen zwei Wochen auf der Insel hält, ist im Gange, doch gibt die Infrastruktur der Insel, außer einigen altehrwürdigen Plantagenlandsitzen, die teilweise zu besichtigen sind, wenig Attraktives her.

Willemstad entstand in den Jahren nach 1635 entlang der Sint-Annabaai-Bucht und dem dahinter liegenden natürlichen Hafenbecken, dem Schottegat, im Schutze gewaltiger Befestigungsanlagen. Rechts vom Meer aus gesehen liegt der Stadtteil Punda (früher De Punt), links davon, auf der gegenüberliegenden Seite, Otrabanda (andere Seite), und beide Stadtteile sind durch drei Brücken verbunden. Eine davon ist mit ihren Maßen von 495 Metern Länge und 55,8 Meter über dem Meeresspiegel so groß, daß es bis heute nur ganz wenige Riesenschiffe gibt, denen die Brücke ein Hindernis wäre.

Und das wären sie auch schon, die Sehenswürdigkeiten Willemstads, wäre da nicht die auffallende Architektur rein kolonialholländischen Stils, mit säulengetragenen Veranden und Treppenaufgängen und klinkerroten Satteldächern, hier und dort wie Amsterdam aus der Szenerie geschnitten. Allein jedes Haus ist anders gestrichen als weiß; Rosa, Rot, Gelb, Ocker, Hellblau, Hellgrün, Lila – angeblich konnte einer der Vorgänger des heutigen Gouverneurs wegen einer Augenkrankheit keine hellen Farben vertragen und verfügte deshalb die Buntheit.

So wirken die jahrhundertealten Häuser wie die Frauen der Insel, trutzig und unverwüstlich, unbekümmert und fröhlich in ihrer Farbenfreude, aber trotz aller zur Schau gestellten Offenheit abgeschlossen und unantastbar in der Privatheit. Diese Prinzipien spiegeln die Atmosphäre der Stadt, wo selbst während der größten Anstürme kaufwilliger Schiffstouristen nicht annähernd der Ruch von neppenden Geschäftsleuten und Markthändlern aufkommt. Es scheint, als sei auf Curaçao jeder sich selbst überlassen.

Auf Curaçaos Nachbarinsel Bonaire lockt weniger das Steuer- als das Taucherglück. Der Strand ist so weiß und feinsandig und scheint doppelt so endlos, wie die Insel lang ist (39 Kilometer). Ockerfarbig bemalte Steine reihen sich in losen Hundertmeter-Abständen entlang der Peripherie des Strandes. Sie dienen als Markierungen für die Einstiege vom Land direkt in den Ozean. Herrenlose Liegestühle, die dort herumstehen, gehören Tauchern, die mal eben in die Tiefe verschwunden sind.

„Hier vor Bonaire ist das Paradies. Unter Wasser. Und wir sorgen dafür, daß es so bleibt“, sagt Kelly de Mayer. Wir, das ist die „Stinapa“, die Stiftung Naturschutzpark Marine, wo Kelly de Mair als Meeresbiologin arbeitet. Sie hat ihre kleine Truppe von Rangern ausgebildet und so motiviert, daß alle Patrouillen, egal ob mit dem Motorboot oder schwimmend und tauchend, ständig im Einsatz sind. Es ist das Credo dieser Verantwortlichen, die bislang noch völlig unberührten Riffe und die einmalige Unterwasserflora und -fauna absolut intakt zu halten.

Kürzlich hatte solch ein nichtsdenkender Idiot auf dem Riff ankern wollen, obwohl fast achtzig künstliche Ankerplätze davor durch Bojen weithin sichtbar gekennzeichnet sind. Dann war er abgehauen, als das Patrouillenboot der Stinapa herankam, und hatte dabei den Anker des Boots über das Riff gezogen. Daß sein Boot beschlagnahmt wurde und er auf der Stelle 15.000 US-Dollar Strafe zahlen mußte, ist nur ein schwacher Trost.

Kelly kommen fast die Tränen, wenn sie die Verwüstung allein anhand der abgebrochenen Korallen beschreibt. „Dieser Teil ist tot. Und wir können noch nicht sagen, ob die Korallen in vielen hundert Jahren wieder nachwachsen werden, denn auch die Gewässer vor Bonaire sind heutzutage belastet, da sollten wir uns nichts vormachen. Doch solange das Riff noch unzerstört ist, ist der ökologische Haushalt unter Wasser ausbalanciert. So lange verkraftet das Meer den Schadstoffzufluß besser als anderswo und bleibt ein Unterwasserparadies.“

Deshalb ist auch Harpunieren verboten, Tauchen mit Handschuhen auch. Etwas anzufassen und auf den Meeresboden zu setzen ist ebenso gegen die Regeln. „Fast alle Taucher halten sich daran und partizipieren im gleichen Zug von der einzigartigen Schönheit in den Gewässern vor Bonaire. Nebenbei“, sie macht eine Pause, „ist diese Konsequenz auch der einzige Garant für den Bestand des Nahrungsmittelreservoirs, das die 14.000 Bonairianer und 6.000 Flamingos nun schon seit Jahrhunderten ernährt.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen