: Ein ahnungsloser Umweltverschmutzer?
■ Der Oberpfälzer Kleinunternehmer Keßl produzierte jahrzehntelang ohne Genehmigung – und wußte angeblich nichts von Schwermetallbelastungen
Bärnwinkel (taz) – Die Firma Keßl mit knapp zehn Beschäftigten im oberpfälzischen Bärnwinkel ist örtlichen Umweltschützern ein Dorn im Auge. Sie werfen dem Zulieferer für die Automobil- und Stahlindustrie vor, krebserregende Substanzen zu verarbeiten und die Gegend mit Schwermetallen sowie Faserstäuben zu verseuchen – und das seit Jahren ohne Genehmigung und inmitten des größten Trinkwasservorkommens der nördlichen Oberpfalz.
1964 siedelte sich der Betrieb in dem 150-Einwohner-Dorf an. Da man angab, weder Abwässer noch Emissionen zu erzeugen, interessierten sich die Genehmigungsbehörden nicht für Keßl. Das blieb bis 1993 so. Dann sah der Anwohner August Forster nicht mehr länger zu, wie sich der Lack an seinem Propangastank ablöste, die Silikonabdichtung in seinen Fenstern zerbröselte und sich überall schmieriger schwarzer Staub niederschlug. Er ließ den Schlamm in seinen Dachrinnen analysieren. Gefunden wurden hohe Anteile der Schwermetalle Arsen, Chrom und Cadmium sowie von aromatischen Kohlenwasserstoffen und des gefährlichen Faserstoffs Siliciumcarbid (SiC), das ähnlich wie Asbest als krebserregend gilt. Auch in den Bächen der Umgebung fanden sich diese Stoffe.
Bei seinen Nachfragen in den Behörden bekam August Forster Erstaunliches zu hören. Im Landratsamt gab man zu, gar nicht genau zu wissen, welche Materialien Keßl für die Herstellung seiner Preßlinge verwende. Erst im Januar 1996 genehmigte man nachträglich den Betrieb. Das Gesundheitsamt Weiden beschied Forster, er könne weiterhin ohne Bedenken seine Obst- und Gemüseprodukte verzehren. Nachdem das Wasserwirtschaftsamt bei eigenen Messungen ähnliche Schwermetallkonzentrationen festgestellt hatte, erklärte die Regierung der Oberpfalz dem Anwohner, die Schwermetalle seien natürlichen Ursprungs. Wie diese aber in die Dachrinne gelangen konnten und warum ihre Konzentration mit der Entfernung zu Keßl abnimmt, überging das Gutachten.
Die Firma betonte fortgesetzt, weder SiC-haltige Abfälle noch polycyclische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) zu verwenden. Pech für den Betrieb, daß Forster zwei Europäische Patentschriften der Firma Keßl ausfindig machte. Die eine aus dem Jahre 1974 behandelt die Verwendung von SiC- haltigen Abfällen aus der keramischen Idustrie. Und die andere von 1987 umfaßt die Beimengung von giftigen Schwermetallen wie Ferrochrom oder Ferrophosphor sowie PAKs wie Naphthalin oder Anthracen in einem Gehalt von bis zu 40 Prozent.
Firmenchef Gunter Keßl stritt ab, die Patente jemals verwendet zu haben. Über seinen Rechtsanwalt forderte er den regionalen „Zusammenschluß umweltbewußter Bürger“ (ZuB) auf, die „geschäftsschädigenden und ehrenrührigen Behauptungen“ von ihren Internetseiten zu löschen. ZuB-Sprecher Wutzer unterließ das jedoch. Statt dessen stellte August Forster über den Umweltanwalt Wolfgang Baumann aus Würzburg bei der Staatsanwaltschaft Strafanzeige wegen der Verarbeitung von giftigen PAKs ohne Genehmigung. Baumann bezeichnet das behördliche Verhalten in Sachen Keßl „als unglaubliche Mischung aus Nichtwissen und Nichtwissenwollen“. Daß kürzlich auf dem Firmengelände groß aufgeräumt wurde, ist für den Anwalt ein Hinweis, daß man „Bestände an PAKs und Unterlagen über ihre Lieferung beseitigen“ wolle.
Um den Betrieb von Keßl im nachhinein zu legalisieren, will das Landratsamt ein Gewerbegebiet in Bärnwinkel ausweisen. Erkundungsbohrungen haben jedoch ergeben, daß hier in etwa 150 Meter Tiefe eine jährlich gewinnbare Trinkwassermenge von 4,25 Millionen Kubikmetern ruht. Das Vorkommen ist bedeutend für die Region, denn die Oberpfalz gilt als Wassermangelgebiet. ZuB-Sprecher Wutzer lehnt ein Gewerbegebiet strikt ab: „Es gibt keinen dümmeren Platz.“ Bernd Siegler
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen