Der den Brahms duzte

■ Die Vorschau: Mit der Aufführung von „Jephta“entreißt der Domchor Carl Reinthaler dem Vergessen

Ein paar Straßenschilder im Bremer Stadtteil Schwachhausen und einige Einträge in den Musik-Chronologien der Stadt: Viel mehr ist von Carl Reinthaler nicht übrig geblieben – obwohl er als städtischer Musikdirektor und vor allem als Domkantor 35 Jahre lang an der Spitze des Bremer Musiklebens gestanden hat. Doch leider hat er nach Auffassung der MusikwissenschaftlerInnen nicht so komponiert, daß sie ihn in irgendeine der großen Musikgeschichten aufgenommen haben. Zu Unrecht, wie Wolfgang Helbich findet. Den Beweis will der Leiter des Bremer Domchors am morgigen Freitag mit der Aufführung von Reinthalers „Jephta und seine Tochter“antreten.

1822 geboren – wir feiern seinen 175sten Geburtstag – war Carl Reinthaler nach Studien in Paris, Neapel und Rom ab 1857 bis zu seinem Tod 1896 in verschiedenen Funktionen in Bremen tätig. Sein Name wird allerdings immer mit dem vielleicht größten Musikereignis in Bremen verbunden bleiben: Er bereitete den Chor 1868 für die Uraufführungdes „Deutschen Requiem“von Johannes Brahms vor, und das offensichtlich so gut, daß der Dirigent Brahms ihm die Duzfreundschaft anbot und ihn später gerne vertrat, wenn Reinthaler krank war.

Wolfgang Helbich ist nach eigenen Angaben durch „eine lange Liebesgeschichte“mit dem Werk verbunden und hält es „für eine Meisterleistung“. Als Helbich vor über zwanzig Jahren nach Bremen kam, fand er in einem Kabuff mit tausenden von Noten den Klavierauszug: „Ich war elektrisiert. Das mußte ich machen“. Und so fand mit dem Bremer Domchor die erste Aufführung 1979 statt, die zweite 1984 und nun nach einer CD-Produktion die dritte. Was hält den Dirigenten über so lange Zeit an der vergessenen Partitur? „Schwer zu sagen. Der farbige Orchestersatz zum Beispiel. Es gibt da einen komponierten Sonnenaufgang, der braucht sich hinter dem von Joseph Haydns Schöpfung nicht zu verstecken“. Und weiter schwärmt Helbich: „Einfach unglaublich bewegende Stellen, brillante Ideen. Wie ein Erdbeben den Propheten ankündigt oder anderes mehr“.

Die Geschichte von Jephta stammt aus dem Buch der Richter. Der Feldherr Jephta verspricht im Falle eines Sieges, den ersten Menschen zu opfern, der ihm entgegenkommt. Es ist seine Tochter. Doch wie bei Georg Friedrich Händel, dessen letztes Werk die Vertonung von Jephta ist, wird das Menschenopfer nicht in die Tat umgesetzt.

Nach Helbichs Meinung ist Reinthaler als Komponist vergessen, weil er sich nach dieser im Alter von dreißig Jahren geschriebenen Komposition, die 1856 uraufgeführt und ab 1858 nicht nur in Bremen, sondern auch London, Amsterdam, Hamburg, Berlin und 1870 sogar in New York aufgeführt wurde, mehr dem Dirigieren gewidmet hat, „da kam dann kompositorisch nicht mehr viel“.

Die zeitgenössischen bremischen Kritiken begeisterten sich an der Schönheit der Melodien und dem dramatischen Einfallsreichtum. Gelobt wurden auch die „Händel'schen“Chöre. „Man kann das am ehesten mit Mendelssohn vergleichen“, sagt Helbich.

Allerdings schreibt ein damaliger Kritiker: Natürlich sei Mendelssohn der größte, aber Reinthaler müsse sein Haupt nicht sonderlich heben, um diesen zu erreichen.

Ute Schalz-Laurenze

Morgen 20 Uhr im Sankt-Petri-Dom in Bremen: „Jephta und seine Tochter“von Carl Reinthaler. Kammer-Sinfonie Bremen, Bremer Domchor, Leitung: Wolfgang Helbich