: „Erfolgreicher Strafvollzug ist schwer zu haben“
■ Ist die Knast-Reform nach den spektakulären Zwischenfällen in Oslebshausen gescheitert? Von Bundesrichter Axel Boetticher
Prügelnde Beamte, spektakuläre Ausbrüche und der Selbstmord eines Häftlings haben die Justizvollzugsanstalt Oslebshausen in den letzten Wochen und Monaten in die Schlagzeilen gebracht. Anstaltsleiter Hans-Henning Hoff mußte gehen. Als er vor acht Jahren seinen Dienst in Oslebs antrat, sollte er das Leben im Knast erträglicher machen. Dr. Axel Boetticher, Richter am Bundesgerichtshof in Karlsruhe, geht in seinem Gastkommentar der Frage nach, ob mit dem Rücktritt Hoffs die Knast-Reform gescheitert ist. Bevor er ans Bundesverfassungsgericht berufen wurde, war Boetticher Richter in Bremen, MItglied der Justizdeputation und eine der treibenden Kräfte für die Knast-Reform.
Daß Hans-Henning Hoff nach seinem Engagement von acht Jahren als Anstaltsleiter der JVA Oslebshausen einen solchen Abgang hat, ist bedauerlich. Nicht weil der ihm gebührende Dank nun geringer ausfällt. Er wußte, daß er eine Aufgabe übernahm die man ohne nachhaltigen Verschleiß ohnehin höchsten sieben fette Jahre machen sollte, um dann letztlich doch nur Undank zu ernten.
Ob man es in der Rolle des Anstaltsleiters einer Justizvollzugsanstalt jemals recht machen kann? Wer vermag als Außenstehender diese Tätigkeit verläßlich zu würdigen. Jeder Tag ist wie der eines Sprengmeisters in Erwartung eines komplizierten Blindgängers oder einer gemeingefährlichen Tretmine.
Was bleibt? Der Strafvollzug ist kurzfristig wieder aufgrund einer Personalie in die Schlagzeilen gekommen. Nichts ist so alt wie die Nachricht von gestern. Fatal wäre es dagegen, wenn der Wechsel Anlaß sein würde, nun auch im liberalen Bremen erneut das „total sichere“Gefängnis herbeizureden. Die bereits in anderen Teilen der Bundesrepublik publizistisch ausgenutzte Furcht vor Ausbrüchen, Gewalttätern, psychopathischen Sexualtätern, ausländischen Drogendealern, angebliche Beweise für einen florierenden Drogen markt mit mafiösen Strukturen aus dem Knast, sowie Vorwürfe über einen zu liberalen Umgang mit Hafterleichterungen und der Haftentlassung haben ein Klima geschaffen, in dem rationale Argumente auf der Strecke bleiben. Und die Suche nach dem Sündenbock ist deshalb so erfolgreich, weil so das verehrte Publikum eiligst zufriedengestellt werden will.
Natürlich gilt es, Ausbrüche zu verhindern, natürlich hat die Justiz die Aufgabe, zu pttüfen, ob eine Bewährung möglich ist und die vorzeitige Entlassung in die Freiheit verantwortet werden kann. Zu schnell geraten jedoch die Umstände in Vergessenheit, die, abgesehen von groben Fehlern, als dauernde Quelle des Versagens bei Ausbrüchen oder bei Straftaten während gewährter Vollzugslockerungen oder nach Entlassungen anzusehen sind.
Eigentliche Ursache vieler Mißerfolge ist der von uns allen als informierter Öffentlichkeit sträflich vernachlässigte Strafvollzug selbst. Dieser macht nur dann auf sich und seine ärgsten Sorgen aufmerksam, wenn die Öffentlichkeit über Mißstände informiert wird. Die aktuelle Diskussion um Sexualtäter, die im Strafvollzug lediglich verwahrt werden, macht überdeutlich, daß die Defizite nicht erst jetzt entstanden sind. Sie sind bereits auf die nicht zu Ende geführte Strafvollzugsreform in unseren Gefängnissen zurückzuführen. Die Strafvollzugsreform ist nicht konzeptionell gescheitert. Es fehlt nur an allen Ecken die Unterstützung der Öffentlichkeit und der Politik, die in den 60er Jahren begonnene Reform fortzusetzen und zu einem vernünftigen Ende zu bringen. Die JVA Oslebshausen galt unter der Leitung des legendären Dr. Edmund Duckwitz bei den Gefangenen als das „KZ des Nordens“. Duckwitz war mit dem von ihm vertretenen „Verwahrvollzug“auch bei den Bediensteten wegen seines strengen Regiments gefürchtet.
Auch damals gab es Ausbrüche, Probleme mit der ärztlichen Versorgung etc. Die Defizite innerhalb der Mauern drangen jedoch nie nach außen. Die Möglichkeit, von außen hinter die Mauern zu schauen und drinnen mitzugestalten, mußte gegen seinen Widerstand schwer erkämpft werden.
Das Strafvollzugsgesetz vom 1. Juli 1977 hat bereits viel bewirkt. Es hat aber noch mehr Möglichkeiten, die bisher nicht ausgeschöpft worden sind. Engagierte Menschen – innerhalb wie außerhalb des Vollzuges – haben sich um dWiedereingliederung bemüht, still, ohne große Sucht nach Eigendarstellung. Die Politik hat sich für die ohne Zweifel vorhandenen Erfolge des sog. „Behandlungsvollzugs“feiern lassen und sich auch in Bremen mit dem Bau der Offenen Anstalt außerhalb der Mauern der JVA Oslebshausen gegen vielfältigen Widerstand ein nicht zu unterschätzendes Denkmal gesetzt.
Reformeifer eingeschlafen
Danach ist die Reformeifer jedoch zum Stillstand gekommen. Aus den Schlagzeilen der großen Politik geraten, hatten gerade die Anstaltsleiter in ermüdender, täglicher Kleinarbeit um jede Bedienstetenstelle, erst recht um jede Sozialarbeiter-, Arzt- oder Psychologenstelle zu kämpfen. Das von Bonn finanzierte Modellvorhaben zur psychologischen Betreuung von Sexualtätern wurde wegen Geldmangels wieder eingestellt. Die Arbeitsbetriebe in der JVA wurden von der bremischen Wirtschaft als unliebsame Konkurrenz angesehen und führten zu einem hohen Arbeitslosenstand in der Anstalt. Eines der Hauptziele der Strafvollzugsreform, die Eingliederung der Gefangenen in die Kranken- und Rentenversicherung, blieb mangels Masse in den Kassen aller Länder auf der Strecke.
Das KZ des Nordens
Bereits damals hat Erhard Hoffmann die Befürchtung geäußert, daß es mit Einführung der Offenen Anstalt, getrennt vom „gesicherten“Oslebshausen, einen „Zwei-Klassen-Vollzug“geben würde. Natürlich hat er Recht behalten, denn bei seiner liberalen Handschrift mußte es zu Konflikten in der Sonnemannstraße 2 kommen. Liberaler Vollzug mit einer immer schwieriger werdenden Klientel führte zu erhöhten Sicherheitsproblemen, die aber im wesentlichen gelöst wurden. Andererseits galt es, auch oder erst recht, für die dort einsitzenden Gefangenen, deren Entlassungsvorbereitung aufgrund Drogenabhängigkeit, Alkoholanfälligkeit, psychischer und psychologischer Probleme, die häufig auch noch kumulativ vorkommen, um ein Vielfaches schwieriger ist, ein vernünftiges Angebot nach innen anzubieten.
Überblick verloren?
Differenzierte Angebote sind auch nur im Wege einer veränderten Leitungsstruktur zu erreichen. Nicht jede Maßnahme im Hause muß über den Tisch des Anstaltsleiters gehen, die Bediensteten sind stärker in die Vollzugsgestaltung einzubeziehen und damit auch in die Entscheidungsstruktur. Erhard Hoffmann ist vorgeworfen worden, er habe sich um jedes Problem im Vollzug gekümmert und dadurch die Kreativität der Mitarbeiter nicht genutzt. Nicht zuletzt die von ihm allein getragene Verantwortung hat ihm Ende der 70er Jahre ein unsinniges Strafverfahren wegen Strafvereitel im Amt eingetragen.
Ist es etwa Ausdruck eines eingetretenen Meinungsumschwungs, daß Hans-Henning Hoff der Vorwurf gemacht wird, er habe bei dem von ihm eingeführten Führungsstil „einfach den Überblick verloren“? Die Anstalt hat auf seine Initiative eine Leitungsstruktur erhalten, die den Abteilungsleitern größere Befugnisse und damit auch Gestaltungsmöglichkeiten gegeben hat. Teamwork ist gefragt, Abstimmung zwischen den einzelnen Häusern und den verschiedenen Vollzugsformen. Diese erhöhte innere Differenzierung stellt natürlich auch erhöhte Anforderungen an die Abstimmung von Sicherheitsmaßnahmen nach außen. Wenn diese Form des Vollzuges noch nicht geklappt hat, dann gilt es, alle Beteiligten an einen Tisch zu bringen und die Defizite aufzuarbeiten.
Völlig verkehrt ist nun das Signal: Abschottung nach außen um jeden Preis, zurück zum autoritären Anstaltsleiter, zur Durchsetzung eines alles beherrschenden Sicherheitskonzepts.
Wachtürme und Maschinenpistolen
Üblicherweise ist der Ruf nach Einsetzung einer Kommission immer der erste Weg, einem öffentlich diskutierten Thema seine Brisanz zu nehmen und auch Verantwortlichkeiten zu verschleiern. Dagegen sprechen in diesem Fall die Erfahrungen, die sich aus den Untersuchungen einer externen Sachverständigen-Kommission ziehen lassen, die nach den letzten schwerwiegenden Vorfällen in der JVA Celle vorhandene Vollzugsdefizite sorgfältig aufgearbeitet und Anregungen gegeben haben. Bevor in Oslebshausen – wie etwa seinerzeit bei der als Modellversuch gefeierten Jugendvollzugsanstalt Neuengamme – zur Erhaltung des nach innen offenen Vollzuges Wachtürme mit Scheinwerfern, besetzt mit Beamten mit Maschinenpistolen gebaut werden und der Bevölkerung ein neues Sicherheitskonzept und damit ein trügerisches Sicherheitsgefühl vermittelt werden, oder der Mann mit der starken Hand als nächster Anstaltslelter gesucht wird, geht es um eine sorgfältige fachliche Analyse des inneren Zustandes in der JVA Oslebshausen. Die Justiz insgesamt ist durch zahlreiche Analysen in ihren oft ein Jahrhundert alten Abläufen auf den Prüfstand gestellt worden. Auch hier sind von außen zahlreiche Hinweise auf Fehlentwicklungen und vorhandene Binnenreserven gegeben worden.
Keine Raubtierkäfige
In jedem Fall gilt es aber, der Bevölkerung klar zu machen, daß ein „erfolgreicher“Strafvollzug nur schwer zu haben ist. Will man hier nicht amerikanischen Verhältnisse mit privat betriebenen Bewahranstalten, die wegen der dort herrschenden Gewalt mit der Haltung von Strafgefangenen wie in Raubtierkäfigen arbeiten, so muß man den Weg der Strafvollzugsreform konsequent weitergehen. Das kostet etwas. Es muß letztlich jedem einleuchten, daß der beste Schutz der Bevölkerung immer noch der ist, die Inhaftierten auf die ohnehin kommende Entlassung vorzubereiten. Die Entlassung unter Einschaltung von Bewährungshelfern, Straffälligenbetreung und Schulden-Regulierungsstellen ist um so wichtiger, als bei der hohen Arbeitslosigkeit die Versuche für die Wiedereingliederung nur unter besonderen Kraftanstrengungen zum Erfolg führen können. Ohne vernünftige, von geschultem Personal gemachte Angebote während der Zeit der Inhaftierung, erfolgt lediglich eine sinnlose Verwahrung der Verurteilten auf Zeit. Dazu bedarf es der Überzeugungskraft, der Geduld und der offenen Diskussion, also nicht des Schlagabtausches auf der ersten Seite der Sensationspresse, bis es möglichst vielen Bürgern einleuchtet, daß der Strafvollzug eine echte Gemeinschaftsaufgabe ist und es nicht reicht, nur nach Sicherheit zu rufen.
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