piwik no script img

Aus dem VereinslebenEntspannte Arschmuskulatur

■ Leder-Cruising, Frühlingsfete der Senioren im „Meistersaal“ und Easy-Listening im Prenzlauer Berg

Geil, alle waren sie da: der Meister-Sklave, der Offiziers- Rekrut, der Herr-Hund, das Reiter-Pferd und der ganz normale Leder-Teddy. Der eine trug eine arschfreie Lederhose, natürlich, der andere Lackstringers, der dritte eine Bundeswehr- und der vierte eine Polizeiuniform, der fünfte fast gar nichts. Fast alle trugen Stiefel, waren gepierct (easy: zwanzig kleine Ringe in der Lippe!, hammerhart: einen großen in der Vorhaut!).

Der eine peitschte, der andere fesselte, und wer sich traute, balgte sich auf dem Latextuch ganz vorn an der Bühne. Etwas Poppers (Hey, ihr Heten! Das ist eine schwule Droge!) – und die Arschmuskulatur entspannte sich. Nichts war tabu, alles war erlaubt und vieles war erwünscht beim Homo-Leder-Treffen am Sonntag abend in der Kulturbrauerei in Prenzlauer Berg.

Das Kondom blieb auf dem Latextuch liegen, die Go-go- Boys ließen sich zärtlich streicheln, und die Teddys tanzten ab zu Techno. Völlig friedlich alles – und zwischendurch leider auch stinknormal: Lauwarmes Bier und fettige Bratwürste. Aber mann hatte ja sowieso Appetit auf etwas ganz anderes.

*** Ein pompöser Saal, holzvertäfelt, Stuck an der Decke und weinrote Samtvorhänge. Ein alternder Conferencier, im Frack natürlich und mit angestaubtem Humor. Ein Tanzorchester, das beschwingte Altschlager aus der Grammophonzeit spielt – „Musik, Musik, Musik“ und „Meine kleine Nervensäge Monika“.

So muß das Ambiente für einen Ball gewesen sein, damals in den zwanziger Jahren. So kann es auch noch heute sein, wie beim Frühlingsball im Kreuzberger „Meistersaal“ beispielsweise.

Beide bewegen sich, als wäre es ihr zweiter Frühling. Als wäre sie nicht 68 und er nicht 74. Sie trägt eine pinkfarbene Bluse und er ein zartrosa Hemd. Sie walzert wie eine Primaballerina, und er schwebt mit. Annemarie König und Hans Blecher tanzen quer – genüßlich einen Walzer im Viervierteltakt und einen Tango auch in der Pause. Allein waren sie nicht. Die fünfzig um die Sechzig ließen keinen Walzer und keinen Charleston aus. Abwalzern bis zum Abwinken. Gute Nacht!

*** Kartoffel-Großhandlung Winkler, Bernauer Straße: Unterm Nierentisch am Mauerpark füßelt niemand unbemerkt, hier wird offen geknutscht. Der Bayer aus Prenzlauer Berg vertuscht seinen Dialekt, das ist nicht in. In sind die Siebziger- Jahre-Plastiklampe, die Holzgarderobe und die umgedrehten Hälse der Plastikküken (stimmt, Ostern) im Aquariumsand auf der Theke. Im „St. Killda's“ alias „TripsGrill“ am Mauerpark, der mutierten Plattenbauwohnung im Marzahner Barockstil, gibt es jeden Samstag Funk und Soul.

Zurückversetzt in Mutterns Wohnzimmer fühlt sich der 28jährige Bernd aus Westdeutschland und grinst entsprechend infantil über die Bierflasche hinweg. Zwar werden Schlaghosen, Koteletten und Sechziger-Jahre-Brillen getragen, und die Easy-Listening-Musik aus den frühen Sechzigern und Siebzigern paßt wie der Nierentisch, doch den Takt kann kaum jemand halten. Schlechter Geschmack ist alles. Nathalie Daiber, Jens Rübsam

wird fortgesetzt

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen