piwik no script img

Heimkehr in die unbekannte Heimat

■ Bosnische Waisenkinder aus Sachsen-Anhalt fliegen heute zurück

Magdeburg (taz) – Heute um 10 Uhr startet das Flugzeug in Berlin- Schönefeld. 31 bosnische Kinder, die in Sachsen-Anhalt betreut wurden, kehren zurück nach Sarajevo. Ihr neuer Wohnort: das Kinderheim „Bjelave“. Als sie im August 1992 aus dem umkämpften Sarajevo evakuiert und nach Sachsen- Anhalt geholt wurden, waren die Jüngsten noch Säuglinge.

Die Landtagsabgeordneten Karsten Knolle (CDU) und Jürgen Angelbeck (fraktionslos) hatten die damals heftig umstrittene Rettungsaktion eingefädelt. Heckenschützen hatten auf den Bus geschossen und zwei Babies getötet. Den Abgeordneten wurde vorgeworfen, sie hätten ihre Aktion weniger der Kinder als der eigenen Profilierung wegen betrieben. „Skrupellose Scheinheiligkeit“ wirft Knolle heute umgekehrt der rot-grünen Landesregierung vor: Die Zukunft dieser „wehrlosen“ Kinder sei „völlig ungewiß“, sie hätten „keine Lobby“. Wenn sie es mit deren Rückführung „so eilig“ habe, dann frage er, warum biete die Landesregierung „den 2.000 in Sachsen-Anhalt lebenden erwachsenen bosnischen Flüchtlingen Möglichkeiten an, die Rückkehr in ihre Heimat hinauszuschieben?“

Knolle, entgegnete der Sprecher des Sozialministeriums, äußere sich „wider besseren Wissens“. Die 31 Kinder würden nicht abgeschoben. Sie kehren nach Sarajevo zurück, weil mit ihren bosnischen Sorgeberechtigten vereinbart war, daß sie nur für die Dauer des Krieges in Deutschland bleiben und hier auch nicht adoptiert werden dürfen. Die in Sachsen- Anhalt bestellten Amtsvormünder hätten überprüft, „daß der Wille der bosnischen Sorgeberechtigten vorliegt und daß die Kinder in Lebensumstände zurückkehren, die deren Wohl nicht entgegenstehen“, erklärte Sozialministerin Gerlinde Kuppe (SPD).

Der Rückflug war schon einmal gebucht, für den 10. Oktober. Stunden vor dem Start wurde er abgesetzt. Ministerin Kuppe begründete den Rückzieher mit den „in der Öffentlichkeit verbreiteten Zweifeln“, ob die Kinder „in eine sichere Situation zurückkehren“. Ein paar Tage darauf setzte sich Innenminister Manfred Püchel (SPD) mit dem Ausländerbeauftragten ins Flugzeug. Ihre Recherchen im Kinderheim „Bjelave“ bestätigten, was bereits das UN- Hochkommissariat für Flüchtlingsfragen (UNHCR) erklärt hatte: Es gebe „keine Einwände“ gegen den Rückflug der Kinder. Das Land habe keine Entscheidungsbefugnis des Landes gegen ihre freiwillige Rückkehr, erklärte Gerlinde Kuppe im Februar.

Die jungen Bosnier hatten in den Kinderheimen von Staßfurt, Schönebeck und Sandersleben schon auf gepackten Koffern gesessen. Nun waren sie einem Ansturm besorgter Presseteams und ambitionierter Politiker ausgesetzt. Zeugen berichten von „suggestiven Fragen, bis vor den Kameras endlich Tränen flossen“. Die den Landkreisen unterstellten Amtsvormünder schoben dem einen Riegel vor: keine Presse mehr.

Ein Herz für Kinder, solange diese gegen die Verlängerung des Bleiberechts für erwachsene Kriegsflüchtlinge ausgespielt werden können, entdeckte auch der Quedlinburger Bundestagsabgeordnete und Oberstleutnant a.D. Frederic Schulze (CDU). Werner Hoyer, FDP-Staatsminister im Auswärtigen Amt, teile seine, Schulzes, Auffassung, daß die Kinder „eher später“ nach Bosnien zurückgeschickt werden sollten, „da Erwachsene dort weniger gefährdet wären und außerdem auch besser beim Wiederaufbau des Landes helfen könnten“. Außenamts- Sprecher Markus Ederer war auf taz-Nachfrage überrascht von der Stellvertreter-Offerte des Bundestagsabgeordneten. Der Minister werde sich mit Schulze in Verbindung setzen. Das Auswärtige Amt teile die Auffassung des Landes Sachsen-Anhalt: „Zur Beurteilung der Lage wurden alle Organisationen eingesetzt, die in der Lage sind, vor Ort ein Urteil abzugeben. Alle haben erklärt, daß die Kinder zurückreisen können.“ Detlef Krell

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen