: Elefantenhochzeit der Onlinedienste
Bereinigung in der Branche: Die einst weltweit vorbildliche CompuServe hat den Internetboom verschlafen und wird nun vom Konkurrenten America Online übernommen ■ Von Niklaus Hablützel
Berlin (taz/AP/rtr) – Ein großer Name, geliebt und gehaßt von Computerfreaks in aller Welt, wird verschwinden. Sprecher des weltgrößten Onlinedienstes „America Online“ (AOL) haben gestern Gerüchte bestätigt, die zum Wochenbeginn aufgekommen waren. Sie wollen den schon in den sechziger Jahren gegründeten Onlinedienst CompuServe, ihren schärfsten Konkurrenten, übernehmen. Geplant ist ein Aktientausch, die Verhandlungen sollen bis nächste Woche abgeschlossen sein.
Die Nachricht trieb den Kurs der CompuServe-Aktien um 15 Prozent in die Höhe. Ob die Fusion zustande kommt, ist dennoch ungewiß. Sie muß von der amerikanischen Kartellbehörde genehmigt werden. Die in letzter Zeit verlustträchtige CompuServe ist mit ungefähr vier Millionen – nach anderen Angaben mehr als fünf Millionen – Kunden weltweit nach AOL mit acht Millionen Mitgliedern die Nummer zwei der Branche. Die Stärke von CompuServe ist ein hoher Anteil von Unternehmenskunden und relativ vielen Kunden außerhalb der USA. Auf diesen Gebieten ist AOL eher schwach.
Das neue Unternehmen hätte ein Vielfaches an Kunden wie die nächstgrößeren Dienste à la Prodigy oder T-Online. Viele Kunden bedeutet aber in diesem Fall nicht automatisch viel Profit oder eine marktbeherrschende Stellung. Neue Onlinekunden werden mit Billigangeboten gelockt und bringen deshalb meist keinen Gewinn für die Unternehmen.
Die Eigentümerfirma H&R Block wollte sich gestern zu dem Übernahmeangebot von AOL noch nicht äußern. In einer schriftlichen Erklärung teilte die Direktion lediglich mit, daß „Gespräche mit Außenstehenden“ geführt werden, die den Onlinedienst „betreffen“. Doch die Finanzmakler H&R Block möchten ihre seit Monaten defizitäre Computertochter lieber heute als morgen loswerden. Zwanzig Prozent der Aktien sind schon im letzten Jahr an der Börse plaziert – mit mäßigem Erfolg. Der Kurs stagnierte, und dem Onlinedienst selbst bleiben zunehmend die Kunden weg. Ein neues Familienprogramm („WOW“) und Kooperationsverträge mit Microsoft konnten daran nichts ändern. „WOW“ geriet zum finanziellen Desaster und wurde schleunigst wieder eingestellt. Entweder sie wanderten zur Konkurrenz von AOL ab, weil dort attraktivere Angebote lockten als die bei CompuServe typischen Zirkel für biedere Computerspezialisten. Oder sie suchten sich gleich einen weit günstigeren Anschluß an das Internet bei einem lokalen Provider.
Auch in Deutschland ging der Boom des Internet an CompuServe vorbei. Mit über einer Million Kunden beherrscht hier die Telekom mit ihrem T-Online- Dienst den Markt. CompuServe konnte mit heute etwa 300.000 Kunden nur mäßig zulegen. AOL hatte sich mit Bertelsmann zum Einstieg in diesen Markt einen starken inländischen Partner gesichert und ist zur Zeit dabei, CompuServe auch hier zu verdrängen.
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