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Vom Lachen der Organe

■ Die Chinesin Liu Xiaoyan lehrt Qi-Gong, wie sie es vom ihrem Opa lernte

Von der Abgeklärtheit Buddhas ist sie noch ein schönes Stück entfernt. Gern sieht sie einen mit großen Augen an, um dann plötzlich und explosiv loszulachen. Zum Beispiel, weil ihr gerade ein Satz eingefallen ist, der ihr die westliche Medizin hinreichend zu beschreiben scheint: Operation gelungen, Patient tot. Doch plötzlich richtet sie sich auf, dann ist sie sehr groß für unser Bild von einer Chinesin, ihr Gesicht wird ernst. Und sie beginnt, Luft zu schaufeln, vogelartige Bewegungen zu machen, scheint mit dem Kopf einen Handspiegel zu verfolgen, dehnt sich, tut ungemein elegant mit den Händen, stößt plötzlich und offensiv nach vorn, nach oben (und trifft die Deckenlampe, und es macht gong). Was macht sie da? Sie macht Qi-Gong (sprich: Tschi-gung).

Frau Liu, Vorname Xiaoyan (sprich tschaujen), ist 32 Jahre alt, stammt aus der Bremer Partnerstadt Dalian in Nordchina, lebt seit vier Jahren in Deutschland und unterrichtet im Auftrag der BEK seit zwei Jahren in Bremen Qi-Gong. Was Qi-Gong genau ist, kann wahrscheinlich nicht einmal ein Weiser sagen. In China gibt es hunderte von Qi-Gong-Formen. Qi-Gong ist irgendwas zwischen chinesischer Medizin, Philosophie, Fitnesstraining für Mönche, Kampfsport und Rückenschule. An die 5.000 Jahre alt. Ziel, erklärt Frau Liu in einem Papier lapidar, sei „die Erhaltung des Körpers, bzw. Erlangung von ,Unsterblichkeit'“. Sie hat es 12 Jahre lang von ihrem Opa gelernt, der war Arzt. Im Übrigen hat sie Bibliothekswissenschaften studiert sowie ein Fernstudium über Chinesische Medizin absolviert. Seit sie das Schicksal nach Deutschland verschlug, hat sie zur Großhandelskauffrau umgeschult, aber noch keinen Job gefunden.

Es geht um Qi. Japanisch: Ki. Lebensenergie. Lebenskraft. Drei fingerbreit unter dem Bauchnabel liegt Dan Tien, in jeder Hinsicht unser Zentrum, hierher kommt Qi, hierhin gehört Qi. Qi muß frei durch den Körper fließen können, und zwar durch diese seltsamen Bahnen, die man Meridiane nennt und die zum Beispiel bei Akupunktur eine Rolle spielen. Fließt Qi nicht, oder schwappt irgendwo „schädliches Qi“umher, verstopfen die Bahnen. Der Mensch wird krank. Damit Qi frei fließt, macht der Chinese Qi-Gong (oder auch Tai-Chi, kein Mensch erklärt einem den Unterschied). Zahlreiche Dehn-, Dreh- und Streichübungen kümmern sich um die internen Verstopfungen, und alles Schädliche verläßt den Körper durch die Füße. Die Füße heißen jun qun, das bedeutet: Türe.

Wenn sie Schüler hat, wie bei den BEK-Kursen, wird zunächst der Kopf gewaschen. Der Reporter muß ein wenig an den Augenbrauen herumzupfen, an den Nasenflügeln reiben, ausgiebig über die Kehle streichen und den Hinterkopf klopfen. „Was fühlen Sie?“– „Warm.“Dann soll er – „Viele Leute kennen nicht ihre innere Energie“– 150 virtuelle Kilo gaaanz langsam in die Luft stemmen. Was sehr anstrengend ist, und gewiß bekommt man auch von halluzinierten Gewichten Muskelkater. Schließlich machen wir zusammen Lachen der Organe, was eine Atemübung ist und tatsächlich sehr lustig.

Frau Liu erklärt dem Reporter, daß im Körper fünf Organe sind, daß zu jedem Organ eines der fünf Elemente gehört (Holz, Feuer, Erde, Wasser und Metall). Daß daraus Therapien abgeleitet werden. Und daß mit Qi-Gong alles wieder gut wird, zumindest Migräne, Rückenschmerzen, Streßsymptome und unspezifisches Unwohlsein. Außerdem gibt es eine Qi-Gong-Diät; Frau Liu zieht ein vergilbtes chinesisches Büchlein aus dem Regal, darinnen lauter chinesische Schriftzeichen und Fotos von Menschen, die mal dick waren und jetzt ganz dünn sind. Außerdem macht Qi-Gong schön, und man braucht keine teuren Kosmetika mehr. All das erklärt Frau Liu ohne einen Anflug von Selbstzweifel, weil sie ja an sich selbst merkt, daß alles stimmt.

Frau Liu kann acht Stunden lang intensiv lernen. Oder kraft ihres befreiten Qi Angreifer abwehren. Schön ist sie auch, und ihre Organe lachen in einem fort, da kann gar kein Zweifel bestehen. Und auch sie selbst würde viel mehr lachen, hätte nicht Herr Seehofer den Krankenkassen untersagt, ihren Mitgliedern Qi-Gong-Kurse zu finanzieren. Jetzt muß jeder Teilnehmer die 150 Mark für zehn Abende selbst bezahlen. Gar nicht auszudenken, wieviel schädliches Qi im Körper von Herrn Seehofer umherschwappt. BuS

Nächster Kurs: ab 24. April. Info: 216472.

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