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Kraft durch Wohlklang

■ Service mit Spannung: PhilharmonikerInnen mit Papa Haydn, Onkel Zemlinsky und den Brüdern Ligeti und Stockhausen

Dem vom Familienleben am Wochenend' erschöpften Zeitgenossen bietet die Philharmonische Gesellschaft in der Glocke zu Bremen zuweilen am Wochenanfang einen wundervollen Service. Philharmonischer Sound, dargeboten von unserem Staatsorchester, spendet Trost, stärkt die Nerven und macht fit für profanes Tun. Kraft durch Wohlklang mithin.

Flüchtiges Lesen der plakatierten Ankündigung – unter anderem Haydns Trompetenkonzert – mag allerdings dem Einen oder Anderen zum Verhängnis geworden sein. Spannung, nicht Entspannung, stand auf dem Programm. Eingerahmt vom Papa Haydns Hit und dessen kakanischem Landsmann Alexander Zemlinsky, einem der Gründerväter der musikalischen Moderne, gab es Musik zweier wirklich noch lebender Zeitgenossen zu hören: György Ligeti und Karlheinz Stockhausen.

Haydns allseits beliebtem Trompetenkonzert folgte Ligetis vor 30 Jahren komponiertes Orchesterwerk „Lontano“. Ein eigenartiges Stück, in dem ein Riesenorchester mit minimalen Tonveränderungen ein Gewebe unterschiedlicher Dichte, aber stets gleichartiger, bröckeliger Struktur über die Glocke legte. Aufbröselnde, zerbrechende und zerfasernde musikalische Struktur: Das findet sich auch in Zemlinskys – des zwischen Gustav Mahler und Richard Strauß zerriebenen Komponisten – symphonischer Dichtung „Die Seejungfrau“. Sie greift das von Anton Dvorak auch um die Jahrhundertwende bearbeitete Rusalka-Thema in der literarischen Fassung auf, die ihm Hans-Christian Andersen gegeben hat. Zerfall und Auflösung erscheinen hier konsequent als Folge spätromantischer Ausdrucksexplosionen, in denen der Komponist mächtig und hochdramatisch auftrumpft und trotzdem zu erkennen gibt, daß es Relikte aus der Dino-Zeit sind, die er bemüht.

Joseph Haydn und Karlheinz Stockhausen ihrerseits begegneten sich in der Freude, die jeweils aktuellen technischen Spielmöglichkeiten der Trompete auszutesten. Stockhausens „Oberlippentanz“für Trompete ist dessen welten- und zeitenüberspannenden, die 7-Tage-Woche mystifizierenden Opernzyklus „Licht“entnommen. Eine kleine Solotrompete bläst allein und lichtumflutet in dunklem Raum virtuos, witzig und albern, aber das ganze Register an Ausdrucksmöglichkeiten nutzend, vor sich hin, um dem „Samstag“in „Licht“zu tauchen.

Die Leitung des Abends hatte ein Dirigent, wie man ihn heutzutage leider nur selten sieht. Anton Nanut aus Slowenien schien dem K.u.K.-Typenkatalog auf anrührende Weise entsprungen. Kantig und sentimental mit Lust auf monumentale Wirkung, gütig und aufmunternd lächelnd, stets aber mit Würde entlockte er dem Orchester auf wunderbarste Weise herrliche Töne. Sein Haydn klang mir zwar zu konventionell und klassisch abgerundet, mit allzugroßer Dominanz in den Geigen, sein Zemlinsky hingegen war erfreulich roh, eckig und kompromißlos, in den verdichteten Passage allerdings zuweilen – landsmannschaftlich bedingt – etwas mehlspeisenartig. Wo Zemlinsky grüblerisch auf der Suche nach dem Ausgang des „Jurassic Parc“Neues andenkt, durchleuchtet Nanut dagegen die Partitur penibel und entlockt ihr auf handwerklich saubere Weise betörende und brüchige Klänge. Ligetis Klangnetz entfaltet er sorgsam und läßt des Komponisten bestrickende Wirkung entfalten. Bremens Staatsorchester folgte bereitwillig und aufmerksam, wobei sich die Holzbläser etwas bedeckt hielten oder – verdeckt wurden.

Der Solist des Abends, Karlheinzens Filius Markus schmettert Haydns Konzert zunächst etwas dröhnend herunter, findet vom 2. Satz an doch zu feineren Tönen und schließt es mit Virtuosität und Witz in des Vaters dazukomponierten Kadenzen ab. Sein „Oberlippentanz“, in der von MedizinerInnen empfohlenen Arbeitshaltung von stetem Wechsel, im Stehen, Knien und Liegen geblasen, was erstaunliche Klangveränderungen bewirkte, hatte circensischen Drive und virtuosen Charme; die bei einem Werk Stockhausens erwartete mystische Dimension blieb beim Sohne jedoch aus.

Der recht heftige Beifall für die neutönerischen Teile des Programms verriet die wachsende Abenteuerlust der deutlichen Mehrheit des Bremer Publikums. Man kann ihm doch wohl mehr zumuten, als zu vermuten war.

Mario Nitsche

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