piwik no script img

Paare und größere Gruppen

Mit „Takt“ von Jan Linkens durchquert die Compagnie der Komischen Oper einmal die Tanzgeschichte, nimmt es mit dem Fernsehballett auf und wagt sich sogar in den Boxring  ■ Von Katrin Bettina Müller

Gene Kelly ist ja nun leider schon tot: So kann er nicht mehr erleben, wie das Tanztheater der Komischen Oper zu schmissigen Walzer- und Rumba-Melodien die Tanzgeschichte durchquert, als ob sie einen der von ihm kommentierten Kompilationsfilme nachtanzen wollten.

In „Takt“, der neuen Choreographie von Jan Linkens, wird die Tanzmoderne noch einmal erfunden: unterhaltsam für das Publikum, pädagogisch wertvoll für die Compagnie. Zu bewundern ist ihr technischer Fortschritt, der Aufbruch aus klassischen Fesseln und expressivem Gestus. Sprüht der Abend auch nicht gerade vor Ideen, so ist er doch handwerklich solide.

Da freute sich auch der Kultursenator Peter Radunski, der auf der Premierenfeier diesem Ensemble versicherte, „weiter den Takt mit anzuschlagen“ in der Tanzszene der Stadt. Gewicht hat dieses Bekenntnis vor dem Hintergrund einer konzeptionellen Absprache zwischen den Intendanten der Deutschen Oper und der Staatsoper, die Mitte März für Empörung sorgte: Ihre Aufteilung des Repertoires suggerierte, das Ballett der Komischen Oper könne dann den Einsparungsplänen als Bauernopfer angeboten werden. Solch hinterhältige Strategie disqualifizierte Radunski kurzerhand als taktlos.

Von der politischen Taktik zum musikalischen Takt: Der Titel von Linkens Choreographie hält alle Bedeutungsebenen offen. Sie beginnt mit einer Nummernrevue von Gesellschaftstänzen (Walzer, Tango, Rumba), als ob man plötzlich mit dem Fernsehballett und Formationswettbewerben konkurrieren müßte. Kriegen wir die Beine nicht höher als die Showgirls, schmelzen wir nicht tausendmal anmutiger über den Arm unseres Partners zurückgebeugt? schienen die Damen in Tüllröcken und Dutt zu fragen.

Erst zu einem Foxtrott (von John Adams) rückten die Ballfreuden in den Hintergrund wie ein Familienfoto von den Großeltern; Tänzer in kurzen Trikots kündigten vorne auf der Bühne ein neues Tempo, eine andere Energie und Richtung an. Der Überblendung von Tanzbildern verschiedener Zeiten folgte zur Musik von Phil Glass eine Aufteilung der neuen Tanzsprache in ein Grundvokabular der Bewegungsimpulse und Richtungen, die ein Tänzer in einem Lichtkegel durchdeklinierte, während Paare und größer werdende Gruppen deren Bestandteile immer weiter verschränkten. Dann läßt sich ein Walzer plötzlich auch nur mit den Armen tanzen, die das Drehen, Umrunden und Spiralisieren in eine andere Raumebene übersetzen. Pina Bausch hat darüber mal ein ganzes Stück gemacht.

Nach der Pause wagte sich Linkens zu einem Walzer von Schostakowitsch noch ein bißchen weiter fort von den Konventionen des Tanzes: Da steckten die Füße plötzlich fest in den auf die Knöcheln gerutschten Röcken, und Boxhandschuhe verwiesen auf den Körper als Kampfplatz, nicht nur der Geschlechter. Doch die zart angedeutete Deformation des Körpers in der Leistungsgesellschaft blieb schnell im Symbolischen stecken. Eine Szene der Entwaffnung und Berührung mit bloßen Händen geriet den Solisten gar zum peinlichen Kitsch.

Anscheinend hat Jan Linkens soviel Ahnung vom Boxen wie ich: einen Sandsack voll metaphorischer Bilder, aber kaum einen Schimmer von den tausend Entscheidungsmöglichkeiten, die in jeder Bewegung stecken. Erst mit der letzten Rumba, die an die Glanzzeiten amerikanischer Musicals erinnerte, kam wieder Stimmung auf.

Na ja. Man solle nicht immer so kritisch mit dem Tanz sein, ermahnte Radunski die Kritiker, schließlich habe die Sache Spaß gemacht. Zweifellos würde der Komischen Oper auch eine entschiedenere Moderne wenig nützen, bliebe dann doch das Stammpublikum aus. Doch etwas weniger Getändel und Gefühl, etwas mehr Härte und Realismus hätte dieses Stück schon vertragen.

Nächste Vorstellung am 25.4., 19.30 Uhr, Komische Oper, Behrenstraße 55–57

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen