: Milch und Likör wären besser für die Umwelt
Statt wasserverschlingendem Zellstoff soll der Hauptverschmutzer des Baikalsees auf Papierherstellung umgestellt werden. Die Unesco erklärt den See zum Weltkulturerbe, nimmt jedoch das Kombinat vom Schutzgebiet aus ■ Von Volker Krampe
Im 40 Jahre langen Hin und Her um das Zellulosewerk am Baikalsee deutet sich eine Wende an. Den entscheidenden Anstoß gab das von der Regierung Tschernomyrdin im vergangenen Januar eingeschaltete US-Ökoconsulting- Unternehmen CH2M Hill. Der Kern des 500 Millionen Mark teuren Projektes: Statt dem Grundstoff Zellulose wird ab 2002 das Endprodukt Papier in einem geschlossenen Wasserkreislauf produziert. Auch der örtliche Mittelstand soll gestärkt werden.
Die Lizenz für die neue Technik soll von der kanadischen Firma Western Millar kommen. Von bisher 3.500 Arbeitsplätzen im Werk blieben 800 erhalten. Befürworter der bisherigen Produktion argumentieren, daß eine Modernisierung der veralteten Zelluloseproduktion ähnliche Wirkung hätte. Noch in diesem Frühjahr will die russische Regierung endgültig entscheiden.
Seit der Werksöffnung 1966 wurden in den Abwässern Hunderte von Grenzwertüberschreitungen bei Chloriden, Fenolen und Sulfaten gemessen. Auf dem Werksgelände lagern fünf Millionen Tonnen Klärschlamm, samt Rückständen von Kadmium, Blei und Quecksilber.
In Wasserproben in der Nähe des Kombinats fanden Biochemiker zwölf verschiedene chlororganische Verbindungen aus der Klasse der Dioxine, für die nicht einmal Grenzwerte festgelegt sind. Zwar beträgt ihre Konzentration nur Nanogramm (Milliardstel Gramm) pro Liter Wasser, sie reichern sich jedoch in Tierorganismen an, wirken genverändernd und krebserregend.
Nachweisbar durch das Zellulosewerk verursacht sind die erhöhte Sterblichkeit von Krebsen, Mutationen von Mikroorganismen bis 45 Meter Wassertiefe und mehrere Quadratkilometer Waldsterben um die Anlagen.
Aufsehen erregte 1987 eine Epidemie bei den nur hier vorkommenden Baikalrobben. Wie in den Gewebeproben von Nordseerobben, bei denen fast zeitgleich ein Virus Tausende von Opfern forderte, wurde auch für die Baikalroben eine erhöhte Konzentration an der Chlorchemikalie PCB gemessen. PCB ist als immunschwächend bekannt. Weitere Untersuchungen von Schnee, Plankton und Fischen in der Nahrungskette sollen das Kombinat als Verursacher dingfest machen. Denn die Zellstoff-Lobbyisten argumentieren: Nicht das Kombinat ist der Hauptverursacher, sondern die Chemie-, Aluminium- und Erdölwerke zwischen Irkutsk und Tscheremchowo. Deren Emissionen trägt der Wind in den Baikal. Außerdem lägen Textil- und Flugzeugwerke am wichtigsten Baikal-Zufluß Selenga.
Das Kombinat ist ein Kind des Kalten Krieges: 1954 beschloß die sowjetische Führung, feinste Zellulose selbst herzustellen, um das US-Embargo gegen diesen für den Flugzeug- und Raketenbau wichtigen Rohstoff zu umgehen.
Zellstoff würde wohl weiter produziert
Zwischen 1960 und 1992 wurden sieben Regierungsresolutionen zum Baikalschutz verfaßt, das Ende der Zelluloseproduktion 1995 war bereits beschlossen. Wenig geschah, der Schutz des Sees blieb eines der Stiefkinder russischer Umweltpolitik.
Sondergenehmigungen verschonten das Werk sogar vor Abgaben und verlängerten so die Verschmutzung – für 1996 wurden nach Schätzungen der Umweltvereinigung „Baikalparlament“ statt fünf Trillionen Rubel (umgerechnet 1,3 Milliarden Mark) bisher nur 14 Milliarden Rubel bezahlt. Erst die ständigen Proteste von Ökogruppen, der seit Sommer 1995 fallende Weltmarktpreis für Zellulose und die Werksschulden brachten den Produktionsstopp erneut auf die Agenda.
Greenpeace und die Irkutsker Ökogruppe „Baikalwelle“ lehnen indes auch die Papiervariante ab. Sie befürchten, daß die hierzu benötigte Zellulose nicht angeliefert wird, sondern nach einer kosmetischen „Schonfrist“ wieder am Baikalsee produziert wird, weil das billiger ist. Außerdem sei die Papierbleiche wegen des Einsatzes von Peroxid problematisch, und es bleibe die Luftverschmutzung. Ihr Alternativkonzept setzt daher auf Werksschließung innerhalb von zwei Jahren, den Ausbau von Tourismus und Nahrungsmittelindustrie – geplant sind eine Großmolkerei, Likörherstellung und Wasserabfüllung.
Die US-Berater von CH2M Hill und die Gebietsregierung meinen hingegen, Tourismus und Nahrungsmittelindustrie brächten mittelfristig nicht genug Arbeitsplätze. Andererseits sei gerade die Papierproduktion umweltfreundlich: Durch Abwärmenutzung könne auf das eigens für das Zellulosekombinat errichtete Kohlekraftwerk verzichtet werden – die größte Dreckschleuder am Ort. Zudem entstünden durch das einzige Papierwerk zwischen Ural und Nordchina viele neue Jobs in der mittelständischen Weiterverarbeitung.
Anfang Dezember erhielten die Hoffnungen der Baikalschützer auf internationale Hilfe beim Kampf um die Werksschließung einen Dämpfer. Der Baikal wurde eines von rund 500 Erbstücken der Weltkultur und -umwelt. Das verspricht juristischen Beistand und Geld aus Ökofonds. Offensichtlich bekam die Unesco aber kalte Füße bei der Vorstellung, konkret Mitverantwortung für das Zellulosekombinat zu tragen. Stadt und Werk sind ausdrücklich aus der Schutzzone ausgenommen.
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