: Rempeln unter Tollen
■ „Meteors“: Publikum machte die Show
Im Stadtbild fallen einem die überzeugten Psychobillies mit den sorgsam um die straffen Tollen herum geschorenen Köpfen kaum mehr auf. Fraglich also, ob alte Psychobilly-Recken wie „The Meteors“nach wie vor Publikum zu ihren Konzerten ziehen. Beim Konzert am Dienstag im „Chagall“war die Frage schnell beantwortet. Schon vor der Rock-Discothek war einiges los. Vor allem eine ganze Armee von extra angeheuertem Sicherheitspersonal. Kürzlich hatte es dort noch einen regelmäßigen Psychobilly- und Ska-Abend gegeben, der eingestellt wurde, als Personen Einlaß begehrten, die sich die Schädel nicht nur aus ästhetischen Gründen rasierten. Diesmal wurden die faulen Äpfel vorher aussortiert, was der Stimmung im Club keinen Abbruch tat. Eher im Gegenteil. Auch der grobschlächtigste Glatzkopf strahlte noch eine bärenhafte Herzigkeit aus.
Wie viele Bands, die ihren Ruhm in den 80ern begründeten, wollten die „Meteors“auf ein Playback-Intro nicht verzichten. Zum Bühnennebel gab es die bekannte Zwei-Finger-Suchsystem-Keyboard-Melodie, zu der sich der Gruselkiller Michael Myers in der Film-Serie „Halloween“seine Opfer aussucht. Das darauf folgende Live-Set war zwar ähnlich simpel und einprägsam, aber bodenständiger und keyboardfrei. Ähnlich gruselig war lediglich der Gesichtsausdruck des Drummers. Er schien sich entweder aufs grimmigste zu langweilen oder sich aufs äußerste auf jeden Schlag konzentrieren zu müssen. Jedenfalls konnte er gespenstischerweise jeden niederstarren, ohne ihn direkt anzuschauen.
Die Musik ließ zunächst eher auf Routine als auf Konzentration schließen. Perfekt, aber ein wenig nichtssagend wurde mit einem Surf-Instrumental eröffnet, danach folgten die üblichen Rockabilly-Nummern im Punk-Gewand. Bald jedoch sprang der Funke über, und das Publikum machte die Show. Die ersten Herren hatten ihre eindrucksvoll tätowierten Oberkörper entblößt und begannen sich fröhlich anzurempeln. Andere machten bei dem Spaß mit, und die Musik wurde zwar nicht wirklich besser, aber machte plötzlich Sinn. Wer nicht mitrempeln wollte, machte Platz für die Pogo-Fraktion. Diese pflegte bei aller Grobheit einen äußerst freundlichen Umgang. Gestürzten wurde aufgeholfen, bei versehentlich Getroffenen wurde sich brav entschuldigt. Daß dabei trotzdem mal jemand was auf die Nase bekam, war halt internationale Härte. Im Waschbecken des Herrenklos sammelten sich blutige Papierhandtücher.
Trotz aller Ruppigkeit durften bisweilen auch die Mädchen mittanzen. Bei den etwas langsameren Stücken, was bei dieser Musik äußerst relativ war, demonstrierten die altgedienten Psychos, daß sie auch mit Anfassen tanzen können – komplett mit Damendrehung.
Nach den strategisch zum Schluß plazierten Evergreens wie „Wreckin' Crew“verabschiedete sich die Band zugabenlos von der Bühne. Für sie mag es Routine gewesen sein, aber das Publikum fühlte sich zu Recht gut unterhalten. Und als man in bierdurchtränkter Kleidung und mit blau getretenen Zehen nach Hause schlurfte, fühlten sich auch die Älteren nochmal wie früher mit sechzehn.
Andreas Neuenkirchen
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