: Der Mythos vom grünen PC
Tonnenweise Material läßt die Computerindustrie für die Herstellung eines einzigen PCs bewegen, zeigt eine Studie des Wuppertal Instituts ■ Von Andreas Grote
Frankfurt (taz) – Wer mit einem PC arbeitet, hinterläßt enorme Spuren in der Umwelt. Zwischen 16 und 19 Tonnen Ressourcen verbraucht ein herkömmlicher Computer mindestens in seinem Leben und damit fast zwei Drittel soviel wie ein Mittelklasse-Pkw ohne Elektronik. Heruntergerechnet auf den Betrieb beansprucht jede Stunde vor dem eingeschalteten PC im Büro 2,6 Kilogramm, vor dem privaten PC sogar 6 Kilogramm an Ressourcen. Letztendlich erreichen weniger als 0,1 Prozent des für seine Herstellung benötigten Materialbedarfs als PC den Schreibtisch des Anwenders.
Die noch unveröffentlichte Untersuchung des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie, die erstmals in der Mai-Ausgabe des Computermagazins ct vorgestellt wird, relativiert damit die Diskussion um die Vorteile des grünen PC. „Entgegen allgemeiner Erwartungen spielt der Energieverbrauch während der Nutzung des PCs keine entscheidende Rolle“, resümiert Jürgen Malley, Berater für Ressourcenmanagement und ehemaliger Leiter des Bereiches „Nachhaltigkeit in der Informationsgesellschaft“ am Wuppertal Institut. Nach seiner Untersuchung macht bei einem privat genutzten PC der Betrieb gerade einmal zehn Prozent des gesamten Material- und Ressourcenverbrauchs aus. Bei gewerblicher Anwendung liegt der Verbrauch aufgrund längerer Laufzeiten bei 25 Prozent. Dabei zeigte sich während der Untersuchung, „daß die Landkarte große weiße Flecken aufzeigt, die durch Studien geschlossen werden müßten“. Die Daten der Wuppertal-Studie können daher daher nur eine Minimalabschätzung wiedergeben.
Der größte Ressourcenfresser ist die oft aufwendige Gewinnung der hochreinen und seltenen Elemente und der gewaltige Energieverbrauch bei der Herstellung der Prozessoren. Über 700 Stoffe werden in einem modernen PC verarbeitet, mehr als das halbe Periodensystem ist vertreten. Bis ein Halbleiter einsatzbereit ist, durchläuft er bis zu 400 Prozeßschritte. Ein nicht unbeträchtlicher Teil des Ressourcenverbrauchs stammt dabei aus dem Energieverbrauch, der bis zu 60 Prozent aus der Erzeugung der Reinraumatmosphäre in der Fabrikation der Wafer (Rohmaterial für die Chipherstellung) herrührt. Während in Operationsräumen 10.000 bis 100.000 Partikel pro Cubic-foot (rund 0,03 Kubikmeter) typisch sind, gelten für Waferfabriken zwischen 1 und 5 Partikel pro Cubic-foot.
Aufgrund fehlender Daten hat Malley einen fertigen PC untersucht. Das läßt jedoch keine Rückschlüsse über die bei der Produktion auftretenden stofflichen Verluste zu. Experten gehen, gemessen am heutigen Standard, davon aus, daß pro Quadratzentimeter Chipfläche die vierfache Wafer- Fläche als Ausgangsmaterial benötigt wird, bei Leiterplatten liegt der Produktionsausschuß bei etwa 25 Prozent. Außerdem würde sich der Ressourcenverbrauch noch einmal erhöhen, „wenn über die Transportkette dieser weltweit verzweigten Produktionsbranche hinreichend Angaben vorliegen würden“. Für viele der in einem PC verarbeiteten Stoffe sind zudem bislang keine Angaben über ihren Ressourcenverbrauch errechnet. Nicht zuletzt bezieht sich die Untersuchung auf ein älteres Gerät (486er-PC, 14-Zoll-Farbmonitor und Tastatur), inzwischen ist eine Generation von Rechnern mit schnelleren Prozessoren Standard.
Ein weiterer schwerwiegender Faktor sind die in Herstellerkreisen kursierenden Zahlen. So soll pro drei verkauften PCs ein weiterer, fabrikneuer PC vom Lager des Herstellers ins Recycling wandern, da entweder ein Trend falsch erkannt oder zuviel vorproduziert wurde. Der Material- und Ressourcenverbrauch würde sich allein dadurch noch einmal um ein Drittel pro PC erhöhen.
Für die Zukunft fordern die Wissenschaftler daher, daß Einsparpotentiale künftig in allen Lebenszyklusabschnitten gesucht werden. „Nur durch ökologisches Design und eine Nutzungsoptimierung läßt sich die Ressourcenproduktivität steigern“, sagt Malley. Der bislang geführte Ansatz der ausschließlichen Fokussierung auf Strom-Einsparpotentiale bei der Nutzung sei zu kurzsichtig. Da besonders die Produktion der Leiterplatten mit einem hohen Ressourcenverbrauch verbunden ist, sollte mit deren Verwendung in elektronischen Geräten sparsam umgegangen werden, beispielsweise durch eine anwendungsorientierte und nicht überdimensionierte Hardware.
Diese Maßnahmen wären dringend angebracht, schließlich hat sich allein zwischen den Jahren 1993 und 1996 die Zahl der in Deutschland installierten PCs von 9,5 Millionen auf rund 18,4 Millionen fast verdoppelt. Dabei rangiert Deutschland noch nicht einmal an der Spitze. Haben in den USA statistisch gesehen fast 40 Prozent aller Einwohner Zugriff auf einen PC, so sind dies in Deutschland erst 19 Prozent. Daneben wird sich die Computertechnologie neben dem PC auch in alle anderen Lebensbereichen ausbreiten. Malley: „Er ist quasi ein Universalgerät, mit dem sich eine Vielzahl von Nutzungen neu erschließen läßt.“
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