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Harding und Antiqua: Gezappte Konzerteindrücke

■ Daniel Harding und die Kammerphilharmonie / Ludger Rémy und die Eröffnung der Pro Musica Antiqua

„Wunderkind“Daniel Harding mit der Deutschen Kammerphilharmonie in der Glocke und zur gleichen Zeit das Debüt von „Les Amis de Philippe“, das Eröffnungskonzert der diesjährigen Pro Musica Antiqua im Rathaus - was tun, wenn man beide Konzerte hören will? Da gabs sicher noch andere, die dieses Problem hatten. Meine Lösung war - zappen: vor der Pause Harding und nach der Pause Antiqua, die beiden Klangkörper in direktem Vergleich.

Die Kammerphilharmonie brillierte an diesem Abend in der ausverkauften Glocke, kaum kann man es anders sagen. Daniel Hardings ausgesprochen kammermusikalischer Dirigierstil, der extrem die Eigenverantwortung der Stimmen fordertund extrem Energien von innen entfaltet, bewirkte eine explosive Ouvertüre zu Mozarts Cosi fan tutte. Sorgfältig und mit großer Spannung wurde der sozusagen vegetative Stil Isang Yuns in seiner 1987 entstandenen Kammersinfonie entfaltet.

Höhepunkt des ersten Teils: das Klavierkonzert von Maurice Ravel. Es war schon atemberaubend, wie sich der exzentrische Pianist Olli Mustonen, der sich zum Teil ein erstaunlich freies Spiel erlaubte, letzt endlich doch der souveränen Aufmerksamkeit Hardings anpassen konnte. Die gesamte Wiedergabe schoß in rhythmischer und klanglicher Brillanz nur so aus dem Boden, entsprechend wollte der Beifall kein Ende nehmen.

Jedoch: Hardings Dirigat muß in Maßen gesehen werden. Es war sehr gut, aber nicht so sensationell, wie die Wunderkindbrüller ihn sehen. Eine Begabung zweifelsohne, über ein künstlerisches Leben als Dirigent entscheiden die nächsten zehn Jahre.

Die Sinfonien der böhmischen Komponisten Georg Benda, Johann Wenzel Stamitz und Franz Xaver Richter sind nichts weniger als „Avantgarde des 18. Jahrhunderts“. Am Mannheimer Hof entwickelten sie ihren Stil, ohne den die Wiener Klassik überhaupt nicht denkbar ist. Mit welchen klanglichen Farben und Explosionen diese Musik erklang und wie sehr sie die Grundlage für die neueste Musik – nämlich die Sinfonie – bereiteten, konnte man sich nicht farbreicher und vibrierender vorstellen als durch die Wiedergaben des Ensembels „Les Amis de Philippe“, das unter der Leitung von Ludger Rémy nun in Bremen sein Debüt gab. Schade nur, daß die Aufbereitung des ganzen Projektes jeder Beschreibung spottet: kein Programmtext, keine Entstehungszeiten, keine Satzangaben.

Ute Schalz-Laurenze

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