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Verstehen, wie das Gehirn funktioniert

■ Experimente mit dem Gehirn von Primaten / Interview mit dem Neurobiologen Dr. Kreiter

Die Bremer Universität hat einen Ruf an den Frankfurter Wissenschaftler Dr. Andreas Kreiter ausgesprochen. Erst jetzt hat der Akademische Senat zur Kenntnis genommen, daß mit dem Lehrstuhl „Theoretische Neurobiologie“ein „Labor“für zehn Makaken-Affen verbunden ist; Kreiter macht mit den Primaten derzeit am Max-Planck-Institut in Frankfurt neurobiologische Experimente (vgl. taz 11./18.4.). Der Tierschutzbund hat seinen Widerstand angekündigt. Auch die Universität will nun öffentlich den Streit austragen. Wir befragten den Wissenschaftler nach seiner Arbeit.

taz: In welcher Zeit-Dimension werden solche Forschungen mit Primaten geplant?

Dr. Andreas Kreiter: Ein Primatenlabor aufzubauen ist eine Sache, die plant man auf mindestens zehn Jahre. Das ist nichts, was man alle fünf Jahre mal wechselt.

Sie wollen in Bremen mit einem Labor von zehn Tieren arbeiten?

Das ist ganz grob die richtige Größenordnung. Bei diesen Untersuchungen arbeitet man dabei mit den Tieren sehr lange, d.h. etwa ein oder zwei Jahre. Wenn man dann nach bestem Wissen und Gewissen alle Möglichkeiten, das Gehirn des Versuchstieres zu untersuchen, genutzt hat, muß man präzise und genau verifizieren, wo im Gehirn die Messungen durchgeführt worden sind. Da ist die einzige Möglichkeit hierfür die Histologie.

Kann man Laien erklären, was das Ziel Ihrer Forschung ist?

Durchaus. Das Interesse von mir und den anderen Kollegen, die weltweit an der Thematik arbeiten, ist es zu verstehen, auf welche Art und Weise Verhalten, Denken, Handeln durch das Gehirn generiert werden – alle diese typischen Tätigkeiten, die höhere Wirbeltiere auszeichnen. Wir wollen verstehen, wie das Gehirn das macht. In unserem Fall wollen wir herausbekommen, wie das Sehen funktioniert, wie die vielen kleinen Bildelemente, die das Auge aufnimmt, im Kopf wieder zu wahrgenommenen Gegenständen zusammengesetzt werden, etwa ein Fachwerkhaus, und wie wir etwas damit verbinden wie z.B. wohnen.

Kommt man auf solche Erkenntnisse durch die Ortung von Reizen im Gehirn?

Nein, wir erforschen nicht nur, wo ein bestimmter Reiz das Gehirn aktiviert. Das wäre eine relativ einfache Fragestellung. Wir wollen wissen: Was für Signale tauschen die Nervenzellen untereinander aus? Unter welchen Bedingungen sind sie synchronisiert, d.h. zeitgleich aktiv? Wir vermuten, daß in der Zeitstruktur solcher neuronaler Antworten ein Code liegt für die Zusammengehörigkeit solcher Informationen. Wir wollen mehr über die integrativen Leistungen des Gehirns erfahren. Jeder Oberschüler kann erklären, wie ein Herz funktioniert. Wir wissen bisher aber nicht, wie das Gehirn funktioniert, was im Kopf passiert, wenn ein Gedanken geformt wird ...

Man sagt immer: das Gehirn ist komplizierter als ein Computer...

Wesentlich komplizierter. Das ist einer der Aspekte, wenn man nach Nutzanwendungen gefragt wird: Wenn man wüßte, wie das Gehirn funktioniert, dann könnten wir viel bessere Computer bauen. Wichtiger ist: Wir könnten Menschen, die unter Hirnverletzungen leiden oder psychiatrische Probleme haben, besser helfen. Die pathophysiologischen Mechanismen der meisten Erkrankungen sind weitgehend unverstanden. Man sammelt Erfahrungen, was hilft und was nicht hilft, aber es gibt keine kausale Therapie.

Wenn man ganz genau weiß, wie das Gehirn funktioniert, kann man – salopp philosophisch formuliert – das Unglück abschaffen, das Empfinden von Unglück.

Das ist immer die Frage: Wenn ich weiß, wie ein Mechanismus funktioniert, weiß ich dann auch, wie ich ihn manipulieren kann? Das hat bisher bei einfacheren Systemen meistens gestimmt. Ich glaube aber nicht, daß das beim Gehirn auch so sein wird. Es wird sich herausstellen, daß der Aufbau des Gehirns so extrem kompliziert ist, daß man zwar im Prinzip verstehen kann, wie es funktioniert, daß man aber an einem individuellen Gehirn nie all die Kenntnisse zusammentragen kann, die erforderlich wären, um das individuelle Gehirn perfekt zu steuern. Ich glaube, daß aus prinzipiellen Gründen ein Gehirn nicht beliebig manipulierbar ist.

Manipulieren tut ja auch die Medizin. Dann wäre auch eine medizinische Nutzanwendung der Erkenntnisse nicht möglich.

Nein, für bessere medizinische Diagnostik und Behandlungsmethoden benötigen wir zwar viel bessere Kenntnisse über die Funktions weise des Gehirns, eine totale Manipulierbarkeit wie für das perfekte Glück ist aber nicht nötig.

Das Tierschutzgesetz zwingt Sie, über die Frage nachzudenken,ob man nicht dieselben wissenschaftlichen Fragen ohne diese Tierversuche erforschen kann. In der Humanbiologie gibt es inzwischen ganz neue Methoden...

Das ist eine wichtige Frage. Diese Art von Primatenversuchen sind aufwendig, sie sind auch sehr anstrengend für die, die sie machen...

... für die Menschen?

Ja.

Und für die Tiere?

... für die Tiere sind sie weniger anstrengend.

Warum für die Menschen?

Sie sind als Experimentator in einer Situation ähnlich wie ein Radar-Controller. Wärend Sie experimentieren, beobachten Sie ständig die Nervensignale auf Oszilloskopen, Sie hören das, Sie steuern den Gesamtversuch, das erfordert ständig viel Konzentration. Dieses gleichzeitige Beobachten und Steuern mehrerer Abläufe ist durchaus anstrengend.

Und Sie können das nicht automatisch aufzeichnen lassen?

Wir suchen Signale, die uns bei der Beantwortung unserer Fragestellung helfen. Ob sich die Signale, die wir gerade sehen, dazu eignen, müssen wir ad hoc beurteilen, um zu entscheiden, ob wir weitersuchen oder eine Aufzeichnung starten.

Wie stark ist die Belastung für die Tiere?

Für die Tiere selbst ist der Versuch keine Belastung, die anstrengender wäre als das Leben in freier Wildbahn. Bei realistischer Betrachtung haben Makaken nicht gerade ein sanftes Leben in der freien Natur. Sie leben in Gruppen, in denen es zu Kämpfen und Verletzungen kommt. Affen fallen auch häufiger vom Baum, als man denkt. Es dürfte kaum einen älteren Affen geben, der nicht einen Bruch oder eine schwerere Verletzung überlebt hat. Das Leben in freier Wildbahn ist also im Gegensatz zu den romantischen Vorstellungen, die sich viele aufgrund der schönen Tierfilme machen, alles andere als ein Zuckerschlecken.

Das Problem für eine adäquate Tierhaltung ist deswegen weniger: wie mache ich es den Tieren bequemer, sondern im Gegenteil: Wie verhindere ich, daß das Tier zu bequem wird? Deshalb ist es wichtig, die Tiere mit Dressuraufgaben zu fordern.

Was würden Sie Tierschützern antworten, die Ihnen sagen, das ist Tierquälerei?

Ich stelle dann meist die Frage: Was stellen Sie sich eigentlich vor, was wir in unserem Labor tun? Dabei kam in der Regel heraus, daß darüber ganz abstruse Vorstellungen herrschen. Wenn wir ein Tier dressieren, dann arbeiten wir nur mit positiven Belohnungen, da gibt es keine Elektroschocks...

Was von Tierschützern kritisiert wird, ist nicht die Dressur, sondern daß Tiere bei den Experimenten auf diese Stühle eingeklemmt, genutzt und hinterher auch getötet werden.

Die Tiere sind nicht irgendwo eingeklemmt. Richtig ist, daß das Tier freiwillig in den Stuhl kommt und der Kopf fixiert wird. Das verursacht keine Schmerzen, die Tiere würden auch sonst gar nicht arbeiten.

Nur auf dem Stuhl gibt es etwas zu trinken.

Die Tiere arbeiten für wesentlich mehr Flüssigkeit als sie eigentlich bräuchten. Offenbar ist diese Beschäftigung attraktiv für sie. Wenn sich ein Tier unwohl fühlt, dann ist die Leistung sofort schlecht.

Das ist wie bei Kindern...

Ja. Ich habe einen dreijährigen Sohn, da sehen Sie noch nicht, daß er Schnupfen bekommt, aber Sie merken schon, daß er grantelig ist.

Haben Sie zu Ihren Primaten nach der monatelangen Dressur eine persönliche Beziehung?

Das ist so ähnlich wie auf einem Bauernhof. Man kümmert sich so gut wie möglich um die Tiere. Aber jeder Bauer weiß, daß er seine Rinder am Ende schlachten muß. Auch in einem Labor muß klar bleiben, daß es sich um Versuchstiere handelt und daß sie irgendwann einmal getötet werden müssen. Da muß man aufpassen, gerade bei jüngeren Mitarbeitern, daß die sich nicht ein Tier vergucken. Meine Erfahrung ist: Leute, die vom Land kommen, verstehen das sofort. Leute, die mit Tieren sehr wenig Kontakt gehabt haben, die vor allem Schmusetiere kennen, haben eher Schwierigkeiten. Int.: K.W.

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