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Keine Steuern auf „Kreuzer“ und „Talente“

■ Tauschringe wollen für ihr soziales Engagement nicht bestraft werden

Kassel (taz) – Tauschringe fühlen sich im Aufwind. Mit 170 Teilnehmerinnen und Teilnehmern fand das dritte Bundestreffen am Wochenende in Kassel eine „überwältigende Resonanz“, wie Ottmar Miles-Paul von der veranstaltenden „Zeitbörse Kassel“ kommentierte. Nach den seinen Angaben gibt es in der Bundesrepublik zwischen 150 und 200 Gruppen, deren Mitglieder Waren und Leistungen gegen Verrechnungseinheiten wie „Tides“, „Kreuzer“ oder „Talente“ tauschen.

Die Tauschgemeinschaften sorgen nicht nur für soziale Kontakte. Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger können sich so etwas leisten, wofür sie sonst kein Geld hätten. „Es tut sich ein zweiter Markt auf“, beobachtet Walter Sachs von „TauschWatt“ in Bremen. Alte Geräte, die auf den Müll wandern würden, weil sie kein Händler mehr repariert, werden wieder instandgesetzt. In den Niederlanden unterstützt deshalb auch das Umweltministerium die Tauschringe.

In Deutschland aber fühlen sich viele Tauschring-Mitglieder von der Politik eher verunsichert, weil nicht klar ist, ob ihre Tauschring- Einkünfte steuerpflichtig sind oder auf Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe angerechnet werden können. Die Antwort der Bundesregierung auf eine entsprechende Anfrage der Grünen-Sozialexpertin im Bundestag, Andrea Fischer, „läßt im Grunde genommen alles offen“, beklagt Helmut Viehmann, Steuerberater und Mitglied der „Zeitbörse Kassel“. Viehmann vertritt die Ansicht, Tauschring- Leistungen von Privatpersonen seien nicht einkommensteuerpflichtig, weil „die Absicht fehlt, Einkünfte zu erzielen“.

„Hände weg von der Besteuerung, Hände weg von der Anrechnung auf Sozialleistungen!“ forderte deshalb Viehmanns Tauschring-Kollege Miles-Paul. Als Vorbild nannte er die hessischen Sozialamtsleiter, die sich darauf verständig hätten, Tauschring-Einkünfte nicht auf Sozialleistungen anzurechnen. In Baden-Baden ist das Sozialreferat der Stadt als erste Behörde in Deutschland sogar Mitglied im dortigen Tauschring geworden. Doch andernorts fragt schon mal ein Finanz-, Sozial- oder Arbeitsamt kritisch nach den Tauschring-Einkünften.

„Wir wollen, daß wie in Holland der Rahmen weiter gesteckt wird“, fordert Paulus Straub vom „Talentexperiment Hochschwarzwald“. In den Niederlanden wird für Tauschring-Leistungen ein pauschaler Freibetrag von umgerechnet 2.700 Mark jährlich angesetzt. Unterstützung für ihr Anliegen bekommen die Tauschring- Vertreter von drei Frankfurter Juristen: Im Fachblatt Neue Juristische Wochenschrift schlagen diese vor, Tauschring-Einkünfte bis zum Gegenwert von 1.800 Mark weder mit Einkommensteuer zu belasten noch auf Sozialleistungen anzurechnen. Johannes Bernreuter

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