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Hoffnung mypegasus – Todesurteil auf Raten

■ Die Vulkanesen verzichteten zum 1. Mai 1996 auf ihre Arbeitsverträge – in der Hoffnung, daß es weitergehen muß

Solange er denken kann ist Günther Ruppin Kupferschmied auf der Werft, beim Vulkan in Vegesack, – gewesen. Mit dem 1. Mai 1996 war dann alles zu Ende. Schließung der Werft oder Unterschrift unter den mypegasus-Vertrag, das war die Alternative, vor die sich die Schuiffbauer gestellt sahen. „Todesurteil war das Wort, das ich am häufigsten hörte“, erinnert sich der Vulkan-Tischler Marco Spinelli. Auch Ruppin unterschrieb sein freiwilliges Ausscheiden aus dem Vulkan. Er ist 56, das Kapitel Schiffbau ist für ihn damit abgeschlossen. „Die ersten vier Wochen macht's noch Spaß. Aber jeder Tag länger ist wie eine Strafe.“

Ruppin hoffte damals wie viele Arbeiter noch, daß es irgendwie doch weitergehen würde, für die meisten jedenfalls. Schließlich sollte die eigens für den Vulkan eingerichtete Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft „mypegasus“eine Verschnaufpause sein: Die Konkursverwalter wollten mit geringeren Kosten und hoch motivierten Arbeitern Kostendeckung erreichen und weitere Aufträge hereinholen. Ruppin dachte damals: „Das ist ja nur vorübergehend, ihr kommt ja alle auf die Werft zurück.“

Eine Hoffnung, an die auch die Vorarbeiter während der ersten Monate fest glaubten, selbst Ende 1996 noch, wie die mypegasus- Geschäftsführerin Ulrike Bohnenkamp nur zu gut weiß. Solange die Arbeiter noch auf die Werft hofften, meldeten sich nur wenige zu den Qualifizierungskursen an.

Die Entscheidung, wer auf der Werft weiter Arbeit hatte und wer gehen mußte, war im Mai 1996 gruppenweise gefallen. „Das war nicht gut“, kritisiert der Vertrauens- mann Ulforth Hantke. Die einzelnen Berufsgruppen versammelten sich in einem Raum und dann wurden die Namen derjenigen verlesen, die weiterarbeiten durften. „Man hätte eine Stecknadel fallen hören können“, erinnert sich Hantke, bemängelt, daß die Auswahl nicht nach „sozialen Gesichtspunkten“getroffen worden sei. Er selber grübelte auf der halbstündigen Heimfahrt darüber nach, wie er es seiner Frau beibringen sollte – sein Name wurde nicht aufgerufen.

Auch der türkische Schlosser Mewlytt Senokur kritisiert die Auswahlpraxis. „Weder die Werkstattleitung noch der Betriebsrat haben darauf geachtet.“Wenn man den Betrieb hätte retten wollen, behauptet Senokur, dann hätte man mehr auf die Leistungsebene achten sollen. „Diese Mühe haben sie sich aber auch nicht gemacht.“Er vermutet, daß „aufmüpfige“Mitar- beiter in die Kurzarbeit geschickt worden seien. Die Hoffnung erstickte jegliche Solidarität.

„Die Stimmung war beschissen“, platzt es aus dem Arbeiter Peter Heirich heraus. „Die Kollegen wurden komisch“, die Atmosphäre war gereizt. Wer seinem Frust Luft machte, mußte mit Gegenwind von Kollegen rechnen: Man solle doch abhauen, wenn es einem nicht mehr passe. Und die Betriebsrätin Karla Krenz faßt die Angst in Worte: „Wenn du die Schnauze aufmachst, kommst du in Kurzarbeit.“Gemeinschaftsaktionen wurden nur zaghaft organisiert. „In einer Vertrauensleuteversammlung wurde drei Wochen lang diskutiert, ob man ein Transparent an die Autobahn hängen solle – das ist doch lachhaft“, schnaubt Senokur verbittert. Auch der Tischler Marco Spinelli ist enttäuscht über diese Politik: Die Belegschaft sei vom Betriebsrat überredet worden, nicht demonstrativ um die Arbeitsplätze zu kämpfen. Statt dessen galt das Motto: „Zeigt, daß ihr arbeiten könnt!“Es wurde geackert. Die Produktivität stieg um 30 Prozent.

Auch gegenüber den Medien blieb man vorsichtig. Ein Interview mit einem Journalisten der ARD-Sendung „Zak“habe ein Betriebsrat mit den Worten: „Paß mal genau auf, was du da sagst“verhindern wollen, erzählt Spinelli. Es entwickelten sich Schutzmechanismen. Doch „auch bei langsamstem Arbeiten“war das Ende absehbar.

Seine Frau sorgte für neue Aufgaben. Das jahrzehntelang eingefahrene Rollenverhältnis geriet ins Wanken. „Sie trägt mir jetzt auch mal Arbeiten an, die ich hasse. Sie sagt: Guck dir doch mal die Fensterscheiben an“. Konflikte entwickeln sich zwischen dem Nichtstun des Mannes und der Arbeitstätigkeit seiner Frau.

Es habe auch Kollegen gegeben, die wie gewohnt morgens aus dem Haus gegangen und erst abends wieder aufgetaucht seien, um vor der Nachbarschaft nicht als Versager dazustehen, erzählt Vertrauensmann Hantke. Fragen in der Familie blieben nicht aus: Warum hat der Kollege aus der Nachbarwohnung seinen Job noch und der Mann und Vater nicht?

Man hätte um die Arbeit kämpfen sollen, denkt Spinelli heute. Viele der Vulkanarbeiter verstehen nicht, wie es soweit kommen konnte. 1254 Arbeitern besuchten Qualifizierungskurse des Arbeitsamtes. Einen neuen Job bekamen dadurch laut mypegasus nur 15 Vulkanesen.

ach

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