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Es gibt viel zu tun. Das sollen andere packen

■ John Major gibt nach der verheerenden Wahlniederlage auch als Parteichef auf. Nach der Phase der Schuldzuweisungen wird die Stunde der zweiten Garde schlagen

John Major liebt Überraschungen – bis in die letzte Minute. Die ganze Wahlnacht hindurch, als die Konservativen von nervöser Sorge in tiefste Verzweiflung schlitterten, versuchte der Noch-Premierminister und Tory-Parteichef, seinen Truppen Mut zu machen. „Wir sind eine große historische Partei“, sagte er in seiner ersten Stellungnahme zum Labour-Sieg. „Wir haben Siege und Niederlagen erlebt. Wir nehmen sie beide mit Würde an.“ Und später versuchte er, seine Mitarbeiter zur Weiterarbeit in der Opposition zu ermuntern: „Ab Montag haben wir zu tun.“

Daß Major gestern mittag dann doch als Parteichef zurücktrat, war daher unerwartet. In der Wahlnacht war spekuliert worden, Major würde versuchen, die Partei zunächst zusammenzuhalten. Gefragt, ob Major bleiben würde, sagte sein Stellvertreter Michael Heseltine: „Ich hoffe es.“ Ähnlich äußerten sich die anderen wichtigen Figuren der Partei. Niemand wollte sich als Verräter vorwagen.

Allerdings ist eine so schwere Niederlage wie diesmal in der konservativen Parteigeschichte selten. Der Stimmenanteil von etwa 31 Prozent ist der niedrigste seit 1832, als die Tories sich der Einführung des allgemeinen Wahlrechts widersetzten. „Als Partei des städtischen Großbritannien sind die Tories fast völlig ausradiert worden“, sagt der Wahlexperte Peter Kellner. „Sie sind nur noch eine Partei der Vorstädte und Grafschaften.“

Nun fliegen die Vorwürfe in alle Richtungen: Major hätte sich eindeutig gegen die Euro-Währung aussprechen sollen, meint die euroskeptische Rechte; Major hätte sich eindeutiger gegen die Euroskeptiker abgrenzen sollen, meint der EU-freundliche Flügel. Es wurde nie ein klares Schwerpunktthema im Wahlkampf gesetzt, lautet eine häufige innerparteiliche Kritik – man schwankte zwischen Europa, Wirtschaft und der Person Tony Blairs hin und her.

Aber dafür ist kaum Major allein verantwortlich zu machen. Eher ist den Konservativen ihre Uneinigkeit, die Major seit seinem Amtsantritt 1990 nie schlichten konnte, zum Verhängnis geworden. Der Kampf um Majors Nachfolge wird das Bild der Uneinigkeit natürlich verstärken – obwohl er zur Klärung der Fronten dienen könnte. Sollte die euroskeptische Rechte unter John Redwood gewinnen, der bereits 1995 gegen Major antrat und verlor, haben bereits mehrere „linke“ Abgeordnete angekündigt, als „Christdemokraten“ eigene Wege zu gehen – möglicherweise zusammen mit den Liberaldemokraten. Umgekehrt droht ein Bruch mit der Rechten, sollte Ex-Finanzminister und EU-Freund Kenneth Clarke die Partei übernehmen. Die Rechte ist jedoch nun schwächer als vor den Wahlen – einer ihrer Führer, Ex-Verteidigungsminister Michael Portillo, hat seinen Wahlkreis an einen 29jährigen Labour- Neuling verloren, und die EU- feindliche Referendumspartei ist bei den Wahlen mit wenigen Ausnahmen bedeutungslos geblieben.

Möglicherweise schlägt jetzt eher die Stunde der zweiten Garde – wie beim Sturz Thatchers 1990, als statt des hochprofilierten „Königsmörders“ Michael Heseltine der unscheinbare John Major den Parteivorsitz errang. Unter den unscheinbaren Mitgliedern des Kabinetts Major profiliert sich derzeit vor allem William Hague, Minister für Wales und mit seinen 35 Jahren und eleganter Eloquenz das nächste Gegenstück zu Blair bei den Konservativen. „Wenn wir die Wahl verloren haben, heißt das nicht, daß wir nicht mehr stolz auf das sind, was wir in den letzten achtzehn Jahren geleistet haben“, sagte Hague in der Wahlnacht. „Wir brauchen eine Periode der kühlen und rationalen Reflektion. Die Konservative Partei muß von jetzt an eine effektive Opposition sein und sicherstellen, daß die wahrscheinlichen Dummheiten einer Labour-Regierung aufgedeckt werden.“

Da steckt schon ein ganzes Wahlprogramm für den Posten des Oppositionsführers drin. Dominic Johnson, London

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