: Die neue Stahl-Familie
■ Bei einer Betriebsbesichtigung für den CDU-Wirtschaftsrat präsentierte Hütten-Chef Klaus Hilker die neue Unternehmensphilosophie bei den Bremer Stahlwerken
„Unfälle: 21. Zielzahl 1997: 24“steht in roten Leucht-Buchstaben am Eingangstor der Stahlwerke Bremen. „Jeder, der hier zur Arbeit kommt, soll sehen, wo wir stehen“, erklärt der Geschäftsführer der Stahlwerke, Klaus Hilker. Er führt aus: Jeder Arbeiter soll auf sich aufpassen, soll sich damit beschäftigen, wenn ein Unfall passiert ist. Denn: „Wer auf sich nicht aufpaßt, paßt auch auf die Anlagen nicht auf.“Hört man dem Geschäftsführer zu, dann kam mit dem Dach des neuen Arbed-Konzerns (der zu dem belgischen Stahl-Riesen Sidmar gehört) eine ganz neue Unternehmensphilosophie ins Haus.
Da scheint – vier Jahre nach der großen Krise 1992 – mit der neuen Konzernmutter Arbed (69 Prozent Beteiligung) ein neuer Wind durchs Werk zu wehen. Bremen zahlte insgesamt ca. 200 Millionen Mark drauf und hat, zur Sicherheit, noch ca. 30 Prozent. Die alte, falsche Mutter Klöckner wollte 1992 sogar die im Bau befindliche Feuerverzinkungsanlage schließen, plaudert Hilker aus dem Nähkästchen. Wenn das passiert wäre, dann wäre die Stahlhütte nie gerettet worden. Vor allem die hochmoderne Bregal-Anlage hatten die Belgier im Auge, als die Sidmar ihr Interesse an der Bremer Hütte kalkulierte. Mit der Verzinkungsanlage für die extra breiten Bleche hat die Bremer Hütte erhebliche Wettbewerbsvorteile vor allem bei der Produktion für die Autoindustrie, auf die sich die Bremer Hütte immer mehr konzentriert.
320 Mark kostet die Tonne Stahl bei Sidmar, „50 Mark mehr bei uns“, gesteht Hilker. Hoesch in Dortmund aber liegt bei etwa 420 Mark. Ziel der Bremer Hütte ist es, die Sidmar-Zahl zu erreichen. „Benchmarking“ist der Schlüsselbegriff der neuen Unternehmens-Führung: In jedem Detail werden die Stahlbetriebe verglichen. Weil das, was bei Simar geht, auch in Bremen gehen muß.
Das betrifft auch Investitionen, pro Jahr ca. 100 Milionen Mark, um die Abläufe zu optimieren. In der modernen Verzinkungsanlage (Investition: 450 Millionen) arbeiten in drei Schichten gerade 150 Leute. Noch extremer sieht es im Warmwalzwerk aus: ein Kilometer lang ist die „Walzstraße“, betrieben wird sie je Schicht von 100 Leuten. „Jeder Meter kostet heute 1 Million Mark“, schwärmt Hilker, als die Unternehmer, die auf Einladung des CDU-Wirtschaftsrates gekommen sind, an der langen Halle vorbeigehen. „So etwas ist seitdem nicht wieder gebaut worden, das wäre nicht zu finanzieren.“Drinnen laufen die rotglühenden Stahl-Brammen über ein langes Förderband und werden zu dünnen Blechen gewalzt – aus einer Zwölf-Meter-Bramme kann am Ende der automatischen Straße ein 1 Kilometer langes Blech werden, 1,5 Millimeter dick. Nur wenige Arbeiter sieht man hinter dicken Glasscheiben an Bildschirmen sitzen.
Auch diese Halle sieht aufgeräumt aus. Das ist Ergebnis der neuen Philosophie: „Es hat alles mit dem Kopf zu tun“, sagt Hilker. Sauber soll der Arbeitsplatz aussehen, die Straßen auf dem Werksgelände wurden erneuert, kleine Rasenflächen gepflegt angelegt, damit die Stahlarbeiter auch sorgfältig mit dem Werk umgehen. Jeder Arbeiter soll wissen, daß er dem Betrieb wichtig ist. Deshalb gibt es „Rückkehrergespräche“mit jedem, der einen Tag krank war oder aus anderen Gründen gefehlt hat. Warum war er krank? Oder hatte er einfach keine Lust mehr? Stimmt etwas nicht am Arbeitsplatz? Klappt die Mitarbeiterführung? Auch für den Krankenstand hat die Hütte sich „Zielzahlen“gesetzt: Von neun Prozent (1994) will man auf die Sidmar-Zahl von fünf Prozent herunter.
In einem modernen Betrieb spielen die Lohnkosten „nicht die entscheidende Rolle“, sagt Hilker – wenn die Motivation stimmt und die teuren Maschinen von aufmerksamen Arbeitern sorgfältig betrieben werden. Gewinne wird die Hütte demnächst übrigens auch wieder ausschütten, Hilker hätte das beinahe vergessen – wenn der Ruhrkohle-Vertrag ausläuft und die Hütte beim Materialeinkauf 40 Millionen Mark im Jahr einspart. K.W.
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