Buecheler & Rockefeller

■ US-Presseresonanz auf „Jekyll & Hyde“macht Bremen-Prognose schwer

Der Musicalproduzent Frank Buecheler hat ein großes Vorbild. Es ist ungezählte drei Dutzend Stockwerke hoch, beherbergt in den unteren acht Etagen einen riesigen Veranstaltungssaal für bald 6.000 BesucherInnen und ist in New York zu finden. Der Name des Gebäudes: Rockefeller Center; die Bezeichnung des Saales: Radio City Music Hall. „Mitten in der Rezession der 30er Jahre hat Rockefeller dieses prunkvolle Gebäude errichten lassen“, schwärmt Buecheler über den in der amerikanischen Version des Art Deco ausgestatteten Entertainment-Palast. Und der Produzent, der ab Herbst 1998 das Musical „Jekyll & Hyde“in Bremen herausbringen will, ergänzt: „Die Bevölkerung hat sich sofort mit der Music Hall identifiziert.“

Rezession, Prunk, Identitätsstiftung in der Krise: Da soll man sich schon selbst einen Reim drauf machen. Und der Reim heißt Hoffnung. Die Hoffnung, daß das Musical im ehemaligen „Showpark“-Gebäude am Richtweg als „bescheidenstes“der neuen Bremer Dienstleistungs- und Amüsierprojekte so einschlägt, wie seinerzeit die Radio City Music Hall.

Allein Buecheler ist nicht Rockefeller. Mit maximal 45 Millionen Mark öffentlicher Gelder soll dem Bremer Musical bekanntlich auf die Beine geholfen werden. Darauf immerhin kann sich der Produzent verlassen. Nicht verlassen kann er sich indes darauf, ob die Buten- und Binnen-BremerInnen sich dem großen Vorbild gemäß mit dem Projekt identifizieren. Denn die KritikerInnen-Resonanz auf die New Yorker Premiere von „Jekyll & Hyde“am 28. April macht eine Prognose nicht leichter. Wenngleich die positiven Stimmen überwiegen, schimmert aus dem Presseecho ein ganzer Katalog von Aufgaben heraus, die das Produktionsteam in den nächsten 15 Monaten vor der Übernahme des Musicals nach Bremen wird lösen müssen.

Glaubt man Ben Brantley von der New York Times, ist jede Anstrengung von vornherein vergeblich. „In ,Jekyll & Hyde' ist ein Mensch von einem Ungeheuer nur von einem Pferdeschwanz getrennt“, eröffnet der Rezensent seinen galligen Verriß. Gleich darauf würdigt er die Regie-Entscheidung, die gespaltene Persönlichkeit von Jekyll/Hyde (Robert Cuccioli) nur durch das Öffnen eines Haarknotens kenntlich zu machen, mit der Polemik: „Wenn es einen Tony Award für die besten Einsatz langer Haare gäbe, würde er (dem Hauptdarsteller) Mr. Cuccioli verliehen werden.“Für Brantley verbirgt sich hier der einzig originelle Einfall in „dieser Ansammlung von Plastik-Monstern“und einer Pop-Oper, „die den ,Sunset Boulevard' wie Parsifal klingen läßt“.

Dick trägt er auf, dieser Brantley – verdächtig dick, wenn er das Publikum als einfältige „Jeckies“beschimpft, außer am Pferdeschwanz-Einfall kein gutes Haar am Ganzen läßt und damit schließt, daß es leicht sei, „mit dem Bühnennebel zu sympathisieren“– und sich mit ihm zu verflüchtigen.

Wechseln wir die Seiten. „Ein großes, den Massengeschmack treffendes Spektakel“hat Jacques le Sourd im Auftrag der Cannett Newspapers gesehen, das auch nach Auffassung des CNN-Kritikers wie „das ,Phantom der Oper' möglicherweise für immer laufen“könne. Und wo Ben Brantley für die New York Times noch höhnt, Linda Eder in einer der beiden weiblichen Hauptrollen habe in ihrer Jugend viele Barbra-Streisand-Platten gehört, verneigt sich das übrige Kollegium zwischen USA Today und Washington Post vor der schauspielenden Sängerin und sagt ihr eine große Karriere voraus.

Doch genau in diesem Lob für die insgesamt drei HauptdarstellerInnen verbergen sich die Schwierigkeiten. Da ist kaum ein ernst zu nehmender Rezensent, der nicht über die schlicht gestrickten Texte von Leslie Bricusse spottet: „Da reimt sich ,demon' auf ,dream on'“mokiert sich Howard Kissel in den Daily News, und Linda Winer lästert in der Newsday: „Bricusse sinkt hier herab zu ,I just put aside/the fear I have inside/there ist no place to hide'“.

Nach dem Tenor der Kritiken liegen die Stärken des Stückes vor allem in den vier bis fünf hitstarken Hauptsongs aus der Feder des Komponisten Frank Wildhorn und in dem als camp bekannt gewordenen Publikumsinteresse für eine Mischung aus unfreiwilliger Komik und Melodram.

Die ZuschauerInnen, die unverändert vor dem New Yorker Plymouth-Theater Schlange stehen, lachen in der Show und begeistern sich für die HauptdarstellerInnen, deren Leistung die Inszenierung trägt.

Wenn Frank Buecheler und sein Team für Bremen etwas tiefer stapeln und statt eines Rockefeller-Effekts immerhin einen Musical-Erfolg anstreben, haben sie noch viel zu tun: Vor allem müssen sie einen Übersetzer finden, der mehr schafft als eine bloße Übertragung der schlichten Verse, und sie müssen bei ihrer Suche nach dem Bühnenpersonal mindestens annähernd so fündig werden wie ihre amerikanischen KollegInnen. ck