Des Todesengels letzter Hopser

■ Oliver Stone trifft Tatort: Krzysztof Krauzes Reporter-Thriller „Straßenspiele“

„Die Vergangenheit und das Jetzt bilden eine Einheit“, ist Staszek Pyjas' letzter Eintrag in sein Tagebuch. Wenig später wird der Krakauer Studentenaktivist tot aufgefunden. Die Umstände seines Todes im Mai 1977 liegen bis heute im dunklen, eine Verbindung zum polnischen Geheimdienst „SB“ konnte nicht nachgewiesen werden.

Zwanzig Jahre nach Pyjas' Tod, der zu scharfen Kontroversen und schließlich zur Gründung des „Unabhängigen Studentenbundes“ führte, hat sich die junge Generation polnischer Filmer des Themas angenommen. Ausgehend von dem historischen Fall, baut Regisseur Krzysztof Krauze einen fiktiven Reporter-Thriller auf, der westliche Vorbilder nicht verleugnet. Ein junger TV-Journalist (Redbad Klijstra) erfährt von angeblichen Verstrickungen eines aufstrebenden Politikers in den Pyjas-Tod und muß während der Recherchen feststellen, daß der Tagebucheintrag nach wie vor seine Gültigkeit hat. Die mutmaßlichen Täter der „alten Firma“, nun in Chefpositionen in Banken, Fitneßclubs oder Sicherheitsfirmen tätig, geben – ohne Kamera, versteht sich – nur allzu gerne Auskunft, denn befürchten muß keiner etwas.

Die alten Pfründe haben machtvoll überdauert. Die Zimmer des Teams werden durchwühlt, Bänder von der Polizei eingezogen, der Reporter selbst schließlich – seines Arbeitsplatzes schon verlustig – in die Rolle des „informellen Mitarbeiters“ hineingestoßen. Der eiskalte, zynische TV-Profi, von Anfang an eine nur scheinbar etwas bewirkende Figur in einem abgekarteten Spiel mit tödlichem Ausgang.

„Straßenspiele“ holte auf dem letztjährigen Filmfestival in Gdynia neben dem „Spezial Preis“ Auszeichnungen für Kamera und Schnitt. Verwackelte Sucherbilder, eingespielte Doku-Aufnahmen und Trickfilmsequenzen erinnern an jüngere Werke Oliver Stones, während sich das weitere Erscheinungsbild leider auf „Tatort“-Niveau einpendelt: Eine Entwicklung, die die Filmfestspieljury in Gdynia dadurch quittierte, daß es den „Besten Film“ im letzten Jahr nicht gab.

Mit der chiffrengeschwängerten Tradition polnischer Altmeister wie Wajda und Kieslowski brach man indes nicht: Das Kollektivsymbol Kruzifix kommt ebenso zum Einsatz wie Querverbindungen zum Titel. „Gra w Klasy“, „Spiele in der Klasse“ des argentinischen Schriftstellers Julio Cortazar, war neben seinem Tagebuch der einzige Inhalt, den man im Rucksack von Staszek Pyjas fand. „Straßenspiele“ sind für Studenten das Katz-und-Maus-Treiben mit den Einheiten der Polizei gewesen; für das kleine Mädchen im Film, das da auf dem Pflaster hin- und herhüpft, ist es eben „Himmel und Hölle“. Den letzten Hopser macht es als Todesengel. Christoph Rasch

Deutschlandpremiere (OmU) heute um 20 Uhr im Polnischen Kulturinstitut, Karl-Liebknecht- Straße 7. Anschließend Diskussion zur Situation der polnischen Filmwirtschaft mit „Straßenspiele“- Produzent Dariusz Jablonski und Zdobylaw Milewski, Politiker und Mitbegründer des „Unabhängigen Studentenbundes“.