"Liebe taz..." Schule anders - betr.: Berichte über Lehrerstreik

Betr.: Berichte über Lehrerstreik und Schulsituation, taz 30.4. und 2.5. u.a.

Februar 1997, Mo. 5. Stunde, eine von meinen beiden Fachlehrerstunden (Geschichte) in der 7 R: Sie sind abgefüllt von Frontalunterricht. Sie sind unruhig. Wir streiten. Markus sagt: Mit meinem Vater können Sie ruhig reden. Der weiß, daß ich Ihre Art zu unterrich ten nicht gut finde.

Zwei Wochen später: Die SchülerInnen packen ihre Bücher aus und beginnen mit ihrer Arbeit, sie malen und schreiben ab, sprechen miteinander. Einer geht durch die Klasse, eine fragt nach dem Buch, das ich wieder im Lehrerzimmer vergessen habe ... Manchmal muß ich um Arbeitsruhe bitten ... Ich gehe von einer zum anderen,...

Bis zu den Osterferien brauche ich die Montagsstunde nicht mehr vorzubereiten. Markus sagt ungefragt: Das ist die schönste Stunde in der Woche.

In den Osterferien sehe ich die Ausarbeitungen zu einem frei gewählten Geschichtsthema nach: gerne. Sie haben auch zu Hause daran gearbeitet. Ich zensiere neun Arbeiten mit 1, zwei mit 2, zehn 2-3 und 3. Zwei Schüler haben nicht abgegeben. Ich muß mich nach den Ferien besonders um sie bemühen.

Ausdrücklich behaupte ich nicht, die einzige zu sein, der gelegentlich befriedigender Unterricht gelingt.Aber es ist absolut unschicklich, sich darüber erfreut zu zeigen, die Stimmung in den Lehrerzimmern gleicht also der im Schullandheim, wenn eine Klasse sich darauf verständigt hat, das Essen schlecht zu finden... Das färbt natürlich ab: Da „befriedigend“in dem genannten Beispiel die schlechteste Zensur war, fühlten sich die AutorInnen der so bewerteten Arbeiten abgewertet, sie hatten sich wirklich Mühe gegeben - und versuchten mich zu belabern...

Was fehlt an den Schulen, sind nicht neue Lehrpläne, die bieten Spielraum genug, sondern Fantasie damit umzugehen – und Anerkennung für Lehrende und Lernende, also: Lust an der Arbeit. Vielleicht geben sich LehrerInnen zu viel Mühe.

Heide Marie Voigt