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Stümperhafte Ausbildung

■ In Deutschland gibt es über 150 Heilpraktikerschulen, aber nicht alle Anbieter sind seriös. Die Folge: Das medizinische Wissen vieler Absolventen ist unzureichend

Gut Ding braucht Weile“ – seit zwei Stunden rede ich nun schon über mich und meine Beschwerden: Alles will der Heilpraktiker von mir wissen – ob ich Süßigkeiten mag, ob typische Krankheiten in meiner Familie vorkommen und wann die Müdigkeit auftaucht, die mich seit Wochen quält. Im Gegensatz zur Schulmedizin geht die Heilkunde vom ganzen Menschen aus. Beschwerden werden als Ausdruck eines disharmonischen Zusammenspiels aller dem Menschen innenwohnenden Kräfte betrachtet. Wie das Gleichgewicht wiederhergestellt werden kann, untersucht der Heilpraktiker. Typische Behandlungsverfahren sind dann Homöopathie, Akupunktur, Chiropraktik oder Pflanzentherapie.

Inwieweit ein Heilpraktiker die für seinen Beruf wichtigen alternativen Heilmethoden jedoch beherrscht, zeigt erst der Erfolg – denn für die staatliche Heilpraktikerprüfung ist sein Wissen in diesem Bereich vollkommen unwichtig. Das liegt in erster Linie daran, daß die Ausbildung zum Heilpraktiker gesetzlich nicht festgelegt ist. Vor allem Ärzte kritisieren die völlig ungeregelte Ausbildungssituation sowie das medizinisch unzureichende Wissen, mit dem so mancher Heilpraktiker auf die Patienten losgelassen wird.

Das 1939 erlassene Heilpraktikergesetz gestattet jedem, der mindestens 25 Jahre alt ist und eine abgeschlossene Grundschulausbildung nachweisen kann, die notwendige Prüfung durch den Amtsarzt. Letzterem obliegt es zu prüfen, ob die Kenntnisse des angehenden Heilpraktikers so weit reichen, daß keine „Gefahr für die Volksgesundheit“ besteht. Um das zu gewährleisten, muß der Prüfling vor allem wissen, was er nicht darf: meldepflichtige übertragbare Krankheiten sowie Geschlechtskrankheiten behandeln oder Geburtenhilfe leisten. Verschreibungspflichtige Medikamente sind ebenso tabu wie das Ausstellen von Totenscheinen.

Seit 1994 ist immerhin der Prüfungsablauf bundesweit einheitlich geregelt. Wer drei Viertel der Fragen eines schriftlichen Tests richtig beantwortet, wird zu anschließenden mündlichen Prüfung zugelassen. Die Prüfung kann unbegrenzt häufig wiederholt werden. Daß derzeit zwischen 40 und 60 Prozent der Bewerber diese Kenntnisprüfung nicht bestehen, wirft ein bezeichnendes Licht auf die Qualität der zahllosen Institute, die in den letzten Jahren wie Pilze aus dem Boden geschossen sind und bis zu 15.000 Mark verlangen.

Allein 150 Heilpraktikerschulen bieten bundesweit ein Ausbildungsangebot. Neben ihnen tummeln sich noch weitere Anbieter, die mit Chrashkursen in nur einem halben Jahr die nötigen Kenntnisse für den Beruf des Heilpraktikers vermitteln wollen. „Von solchen Kursen kann ich nur abraten“, meint Karl Heinz Ney, der selbst eine Heilpraktikerschule betreibt. „Möglicherweise besteht man die amtsärztliche Prüfung, aber von der Naturheilkunde weiß man so gut wie nichts.“ Wenn diese Schnellkurse auch wenig Wissen und kaum Praxischancen bieten, so schaffen sie es, die Arbeit seriöser Heilpraktiker in Verruf zu bringen. Um das Ansehen ihres Berufsstandes zu wahren, empfehlen die verschiedenen Heilpraktikerverbände deshalb eine zwei- bis dreijährige Ausbildung an ihren Mitgliedsschulen, die mit schuleigener Prüfung abschließt und monatlich rund 380 Mark kostet. Auf einen einheitlichen Lehrplan konnten sich die Verbände bislang jedoch nicht einigen.

Erst nach der Ausbildung darf der Heilpraktiker mit Kranken arbeiten und – einzigartig im deutschen Gesundheitswesen – ohne fachlichen Qualitätsnachweis Blut abnehmen, Spritzen setzen, Infusionen legen und sogar den Blinddarm operieren, wenn er sich das zutraut. Letzteres ist wohl selten der Fall, denn die meisten Heilpraktiker verstehen sich nicht als Konkurrenz zur Schulmedizin. Sie sehen sich eher als Ergänzung, Patienten mit schweren Krankheiten werden in der Regel erst zum Arzt geschickt. Zunehmende Bedeutung gewinnen die alternativen Behandlungsmethoden bei allergischen, chronischen und psychosomatischen Erkrankungen. Also in den Bereichen, in denen die Schulmedizin nur geringe Erfolge hat.

Rund 15.000 Personen verfügen mittlerweile in der Bundesrepublik über die Erlaubnis zur Ausübung der Heilkunde. Aber nur 6.500 üben ihren Beruf auch tatsächlich in einer eigenen Praxis aus. „Viele haben gemerkt“, erklärt Karl Heinz Ney, „daß die Zulassung durch den Amtsarzt noch nichts mit Qualität zu tun hat.“

Mit einer Heilpraktikerpraxis wirtschaftlich zu überleben, erweist sich als unternehmerisches Wagnis, denn bis auf Privatkassen gibt es keine Kostenübernahme durch die Krankenkassen. Der Patient muß bis zu 250 Mark für die Erstberatung zahlen, jede weitere Behandlung kostet extra.

Ob die Gesundheitsreform ein weiteres Erschwernis bedeutet, gilt abzuwarten. „Viele sagen sich, wenn sowieso schon alles teurer wird und ich immer mehr aus der eigenen Tasche bezahlen muß, dann gehe ich doch gleich zum Heilpraktiker“, beschreibt Naima Neuhoff, Studienleiterin von Thalamus Berlin, die Hoffnung mancher KollegInnen. Kim Kindermann

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